Motivation

Gender im Lesementoring-Projekt

Jungen und Mädchen lernen unterschiedlich. Wie wird das im Lese-Projekt mit jugendlichen MentorInnen berücksichtigt?

Lesementoren der Stadtbibliothek Hannover

Gender im Lesementoring-Projekt

Im Projekt Lesementoring der Stadtbibliothek und der Stadtteilkultur Hannover  motivieren Jugendliche jüngere Kinder zum Lesen. Nach einer kleinen Ausbildung betreuen jeweils zwei Jugendliche ein halbes Jahr lang eine Gruppe von sechs Kindern. Sie stellen ihnen interessante Bücher vor und bieten dazu Lese- und Bewegungsspiele an. Unterschiedliche Interessen von Jungen und Mädchen spielen dabei eine besondere Rolle, berichtet Ulrike Knoch-Ehlers, die das Projekt leitet.

Ulrike Knoch-Ehlers, Stadtbibliothek Hannover, Projektbüro Lesementoring

Frau Knoch-Ehlers, welche Gender-Aspekte werden in dem Projekt Lesementoring berücksichtigt?
Jungen und Mädchen lesen und lernen unterschiedlich, das haben mittlerweile mehrere Studien nachgewiesen. Mädchen lesen generell lieber als Jungen. Wenn Jungen lesen, bevorzugen sie Abenteuer-Geschichten und eher Sachbücher während Mädchen eher Belletristik und Beziehungsgeschichten favorisieren. Wohlgemerkt – ich sage „eher“. Es sind immer Tendenzen, die nicht auf alle zutreffen.

Lesen hat ja auch viel mit Lernen zu tun. Welche Unterschiede gibt es beim Lernen?
Jungen haben im Allgemeinen einen größeren Bewegungsdrang, sie entwickeln früher grobmotorische Fähigkeiten, erst später feinmotorische, bei Mädchen ist es umgekehrt. Mädchen möchten meistens erst mal nachdenken, bevor sie handeln, Jungen wollen immer schnell handeln und brauchen oft mehr Freiräume zum Experimentieren, bevor sie bereit sind, auch Anweisungen zu akzeptieren. Mädchen lernen eher mehr über das Zuhören, Jungs sind stärker visuell orientiert, sie brauchen mehr optische Hilfen, um etwas zu verstehen oder sich zu merken. Jungen wollen sich oft als männliches Wesen in einer Gruppe profilieren und lassen sich nicht so gerne helfen, Mädchen sind eher Gruppenwesen und an Kooperation interessiert.

Wie gehen Sie beim Lesementoring auf diese Unterschiede ein?
Wir vermitteln diese Erkenntnisse unter schon im Einführungsseminar an die Schüler-MentorInnen. Und wir versuchen, diese unterschiedlichen Lern-Bedürfnisse sowohl in der Auswahl der Literatur als auch im Methodenangebot zu berücksichtigen. Und zwar sowohl für die Jugendlichen, die wir in speziellen Seminaren und Workshops zu Lesementoren ausbilden, als auch in den Materialien und Übungen für die Grundschulkinder.

Gibt es denn auch männliche Lesementoren? Lesen ist doch eher ein „weibliches“ Hobby?
Als wir mit dem Projekt begannen, meldeten sich vorwiegend Mädchen für die Ausbildung zur LesementorIn. Mittlerweile haben wir fast die Hälfte Jungs.

Es ist für die Leseförderung der Kinder von großem Vorteil, dass unter den MentorInnen auch junge Männer sind. Sie sind den Jungen mit ihrem männlichen Verständnis und ihrem Literaturgeschmack sehr viel näher als junge Frauen oder auch die Lehrerinnen. Kinder werden ja sonst sehr stark von weiblichen Pädagogen sozialisiert, sowohl im Kindergarten als auch in der Schule. Entsprechend ist die Auswahl der Lektüre und der Lernmethoden auch sehr weiblich orientiert. Das geht oft an den Interessen der Jungen vorbei - mit der Folge, dass sie zu wenig Lesemotivation entwickeln.

Was machen Sie da anders, können Sie konkrete Beispiele erläutern?
Die Auswahl von Spiel- und Lernangeboten wird in unserem Projekt immer so gestaltet, dass für die unterschiedlichen Lerntypen immer etwas dabei ist. Ruhigere Lesespiele, die meistens von Mädchen bevorzugt werden, bewegungsorientiertere Angebote, die gerne von Jungen genutzt werden.

Einer unserer männlichen Projektbetreuer hat z  B. eine ganz auf männliche Jugendliche zugeschnittene Arbeitshilfe für den Ablauf einer Lesementoring-Stunde erarbeitet: Er hat sich an der Struktur eines Fußballfeldes orientiert und daran die Struktur der Lesementoring-Stunden erläutert, von da an haben die männlichen Mentoren prima verstanden und umgesetzt, wie es gemeint ist.

Da die Lesementoring-Gruppen immer von zwei MentorInnen begleitet werden, ist auch häufig sowohl ein männlicher als auch eine weibliche Betreuer/in dabei und kann auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kinder eingehen. Das betrifft aber nicht nur das Thema „Jungen-Mädchen“, sondern auch die kulturellen Hintergründe oder spezielle Leseschwierigkeiten.

In einigen Stadtteilen haben wir auch reine Jungen-Lesementoring-Gruppen, die von zwei männlichen Mentoren betreut werden. In diesen Gruppen ist der Anteil der Bewegungsspiele höher und bei der Literaturauswahl dominieren die Themen Fußball, Technik und Abenteuer. Auch Tierbücher sind willkommen. Aber am liebsten über solche Tiere, vor denen sich Mädchen ekeln oder vor denen sie Angst haben: Spinnen, Raubtiere oder am liebsten Monster.

Haben diese intensiven Projekterfahrungen auch Auswirkungen auf die Berufswahl der Jugendlichen – im Hinblick auf das Problem – Pädagogik ist nahezu rein weiblich?
Ja, durchaus. Die Mitarbeit im Projekt  bietet den Jugendlichen ja einen Einblick und praktische Erfahrungen  in einem kulturell-pädagogischen Arbeitsfeld. Einige – sogar einige der männlichen- MentorInnen haben bekundet, später auf diesem Feld eine Ausbildung /ein Studium anstreben zu wollen, von einem wissen wir bereits konkret, dass er sich aufgrund der positiven Projekterfahrungen in Ausbildung zum Sozialpädagogen befindet.

Das Projekt ist ja mittlerweile durch Ihre Fortbildungen auch in andere Städte und Gemeinden gegangen. Sind dort die Erfahrungen ähnlich?
Ja, was die Erfahrungen zum Thema „Gender“ betrifft sind sie absolut vergleichbar, es spielt offenbar auch keine Rolle, ob es sich um eine Stadt oder ein Dorf handelt.

Es ist aber auch sehr wichtig, diese Aspekte in der Fortbildung zu thematisieren und den MultiplikatorInnen praktisches Handwerkszeug zur Umsetzung zu vermitteln.