Medizinische Hochschule

Taubheit mit Gentherapie heilen

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Forscher der Medizinischen Hochschule erhalten rund zwei Millionen Euro von der Europäischen Union für das Projekt "iHEAR", dessen langfristiges Ziel es ist, Kinder und Erwachsene vor Taubheit zu schützen.

Professorin Dr. Hildegard Büning, Privatdozent Dr. Michael Morgan, Professor Dr. Dr. Axel Schambach, Dr. Juliane Schott und Privatdozentin Dr. Athanasia Warnecke (v.l.n.r.).

Hohe Auszeichnung für einen Forscher der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH): Professor Dr. Dr. Axel Schambach hat von der Europäischen Union die sehr begehrte Auszeichnung "Consolidator Grant" des Europäischen Forschungsrates "European Research Council" (ERC) erhalten. Damit verbunden ist eine Förderung seiner Wissenschaft in Höhe von rund zwei Millionen Euro für die kommenden fünf Jahre. Der Leiter des MHH-Instituts für Experimentelle Hämatologie nutzt die Förderung für das Projekt "iHEAR", dessen langfristiges Ziel es ist, Kinder und Erwachsene vor Taubheit zu schützen.

Genetisch bedingte Taubheit

Die Anzahl der Betroffenen ist groß: Etwa zwei bis fünf von tausend Kindern werden taub geboren. Zudem erfahren im Laufe des Lebens rund 20 Prozent der Bevölkerung eine Beeinträchtigung ihres Hörvermögens. So sind in Deutschland rund 15 Millionen Menschen schwerhörig bis gehörlos. Sie müssen mit den Folgen leben, die sich auch auf gesellschaftliche Teilhabe sowie auf Bildungs- und Berufschancen beziehen. Derzeit ist Gehörlosigkeit nicht heilbar. Beim Ausfall des Innenohres kann sie allerdings mit einem Cochlea-Implantat technisch überwunden werden, wobei die Taubheit biologisch bestehen bleibt. Bei rund der Hälfte der taub geborenen Kinder liegt die Gehörlosigkeit daran, dass ein oder mehrere Gene nicht funktionieren. Derzeit sind rund 100 Gene bekannt, deren Fehlfunktionen zur Taubheit führen können.

Taubheit mit Gentherapie

Das „iHEAR"-Team will Taubheit mit Gentherapie heilen. Dabei konzentriert es sich auf Gene, die für die zum Hören notwendigen Haar- und Sinneszellen im Innenohr verantwortlich sind. Das Ziel: sogenannte Genfähren (lentivirale und adenoassoziierte Virus-Vektoren) ins Innenohr zu injizieren, die mit der funktionierenden Version des Gens beladen sind. Die Fähren sollen das Gen in die Haar- und Sinneszellen bringen, damit das fehlende Protein gebildet werden kann und die Zellen wieder funktionieren.

Heilen und Schützen – in jedem Alter

Dem Team geht es zudem darum, mit Hilfe der Gentherapie spontaner Ertaubung entgegenzuwirken. Diese kann durch die Behandlung mit Medikamenten wie etwa bestimmten Chemotherapeutika entstehen. Hierbei soll die Gentherapie die ungewollte Aufnahme der Medikamente in die Haarzellen verhindern beziehungsweise das Herauspumpen des Medikaments aus diesen empfindlichen Zellen bewirken.

Die Studien werden zunächst anhand von Zellversuchen und in Modellsystemen durchgeführt. Damit die Forschungsergebnisse möglichst bald auch am Menschen angewendet werden können, entwickeln sie auch selber patientenspezifische Erkrankungsmodelle. Diese basieren auf sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen, die – im Falle dieses Projekts – von Zellen gehörloser Menschen abstammen.

Beitrag zur Therapie der Altersschwerhörigkeit

Das Forschungsteam geht davon aus, dass die Arbeiten nicht nur Kindern und jungen Erwachsenen nützen werden: "Wir hoffen, dass die von uns erzielten Ergebnisse langfristig auch zur Therapie der Altersschwerhörigkeit beitragen", sagt Professor Schambach.

Teamleistung führt zum Erfolg

Der nun erzielte Fördererfolg beruht auf einer Teamleistung. „Ohne die Vorarbeiten, die unter anderem im Rahmen der Exzellenzcluster ‚REBIRTH – Von Regenerativer Biologie zu Rekonstruktiver Therapie‘ und ‚Hearing4all‘ stattgefunden haben, gäbe es das neue Projekt ‚iHEAR‘ nicht“, sagt Professor Schambach. Beispielsweise entstanden die Genfähren im Rahmen des Exzellenzclusters REBIRTH, in dem sie auch mehr als zwölf Jahre weiterentwickelt wurden.

Projektbeteiligte

Maßgeblich am Projekt "iHEAR" beteiligt sind unter anderem Professorin Dr. Brigitte Schlegelberger und Dr. Bernd Auber, MHH-Institut für Humangenetik, sowie Privatdozentin Dr. Athanasia Warnecke, Ärztin der MHH-Klinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde (HNO). "Die Gentherapie eröffnet grundsätzlich neue Behandlungsmöglichkeiten der Schwerhörigkeit. Sie ermöglicht, die Ursache der Hörstörung zu beseitigen und somit eine Heilung herbeizuführen. Der Grant ist eine herausragende Auszeichnung der Arbeiten der jungen interdisziplinär arbeitenden Wissenschaftler an der MHH", erklärt Professor Dr. Thomas Lenarz, Direktor der HNO-Klinik an der MHH und Sprecher des Exzellenzclusters Hearing4all am Standort Hannover. Für die Klinikerin Dr. Warnecke steckt die größte Herausforderung in der komplexen Zellarchitektur des Innenohrs. "Bei der von uns angestrebten Gentherapie bei Schwerhörigkeit müssen exakt diejenigen Strukturen wiederhergestellt werden, die defekt sind, und nur exakt in genau jenen Zellen, in denen sie natürlicherweise vorkommen", erläutert sie.

REBIRTH

Auch der Vorstand des Zentrums für regenerative Medizin, REBIRTH, freut sich außerordentlich über die ERC-Auszeichnung. "Als einer von vielen Ansätzen, die im Bereich Stammzellforschung in REBIRTH entwickelt wurden, kann das geförderte Konzept nun ganz neue Anwendungen erforschen, nämlich stammzellbasierte Krankheitsmodelle und die Vermeidung von Zellschädigung durch die Chemotherapie. Falls erfolgreich, ließen sich diese hoch-innovativen Ansätze für das Innenohr sicher auf andere Organsysteme übertragen", sagt Professor Dr. Axel Haverich. Professor Schambach wird auch weiter von REBIRTH unterstützt werden, das seit 2019 Professor Dr. Dr. Thomas Thum an der MHH leitet. Ebenfalls herausragend am Projekt "iHEAR" beteiligt sind Professorin Dr. Hildegard Büning, Privatdozent Dr. Michael Morgan, Dr. Axel Rossi, Dr. Dirk Hoffmann und Dr. Juliane Schott aus dem MHH-Institut für Experimentelle Hämatologie.

Kooperation mit der Leibniz Universität

Für "iHEAR" ist zudem die Kooperation mit der Leibniz Universität Hannover essenziell, deren Wissenschaftler der Technischen und der Organischen Chemie sowie des Biomolekularen Wirkstoffzentrums die für diese Forschungsarbeiten notwendigen Wirkstoffe und Wachstumsfaktoren bereitstellen.

(Veröffentlicht: 25. März 2019)