Auf der Suche nach dem verschollenen Vater – Tochter reist nach Hannover

KZ Stöcken

Auf der Suche nach dem verschollenen Vater – Tochter reist nach Hannover

Als ihre Mutter mit ihr schwanger war, wurde der Vater von Marie Hélène Sagaspe, der französische Widerständler Jean Iribarne, in Frankreich verhaftet. Im Sommer 1944 wurde er in das KZ Stöcken in Hannover deportiert. 80 Jahre lange lebte sie in Ungewissheit über das Schicksal ihres verschollenen Vaters. Erst seine wiederentdeckte Brieftasche führte seine Tochter und seine Enkelin im September 2025 auf die Spur nach Hannover.

Jean Iribarne in französischer Militäruniform, 1930er Jahre; daneben seine Tochter und seine Enkelin vor seinem Grab auf dem Stadtfriedhof Seelhorst, September 2025

Verschleppt und verschollen

Jean Iribarne (geb. 14.03.1912 in Camou-Cihigue, Frankreich), der Vater von Marie Hélène Sagaspe, lebte mit seiner Frau Marie Anne Tardets-Sorholus in Westfrankreich nahe der spanischen Grenze. Während der deutschen Besatzung half er Widerstandskämpfern bei ihrer Flucht über die Pyrenäen nach Spanien. Er wurde denunziert und am 14. April 1944 von der Gestapo verhaftet. Über das KZ Royallieu („Frontstalag 122“) bei Compiègne in Frankreich wurde er im Juni 1944 in das KZ Neuengamme in Deutschland deportiert. Vermutlich Ende Juni 1944 brachte man ihn nach Hannover in das KZ Stöcken, einem Außenlager des KZ Neuengamme. Als KZ-Häftling musste er hier Zwangsarbeit für die Accumulatorenfabrik (später VARTA) in Stöcken verrichten. Er starb am 13. März 1945 in Stöcken. Seine letzte Ruhestätte befindet sich in einem Massengrab am Mahnmal für die Opfer der hannoverschen Konzentrationslager auf dem Stadtfriedhof Seelhorst.

Marie Hélène wusste lange nichts von ihrem leiblichen Vater. Ihre Mutter hatte kurz nach dem Krieg erneut geheiratet. Erst im Alter von 12 Jahren erfuhr sie von ihrem Vater Jean Iribarne. Seit seiner Verhaftung galt er als verschollen, in der Familie wurde nicht über ihn gesprochen. Erst Recherchen der Arolsen Archives, dem International Center on Nazi Persecution, in Deutschland konnten Anfang 2025 sein Schicksal aufklären.

Brieftasche liefert den entscheidenden Hinweis

Bei seiner Einlieferung in das Konzentrationslager waren Jean Iribarne seine persönlichen Gegenstände abgenommen worden, darunter seine Brieftasche mit dem eingenähten Porträtfoto seiner Ehefrau Marie Anne, ihrem Namen auf der Rückseite und einem Hinweis auf seinen Heimatort in Frankreich. Diese „Effekten“ genannten Gegenstände gelangten nach dem Krieg in die Arlosen Archives. Über die Hinweise in der Brieftasche konnte ein ehrenamtlicher Helfer der Arolsen Archives schließlich den Kontakt zu seiner Tochter Marie Hélène Sagaspe in Frankreich herstellen, die so erstmals von dem Schicksal ihres verschollenen Vaters erfuhr. Am 21. März 2025 konnten die Arolsen Archives dann Marie-Hélène die Brieftasche ihres Vaters zurückgeben.

Marie Hélène und ihre Tochter zu Besuch in Hannover

Auf den Spuren ihres Vaters reiste Marie Hélène Sagaspe mit ihrer Tochter Anfang September 2025 nach Deutschland. Nach Besichtigung der Gedenkstätte in Compiègne (Frankreich) und der Gedenkstätte Neuengamme bei Hamburg kamen sie am 3. September 2025 nach Hannover. Gemeinsam mit ihrer Tochter Marie Ange Sagaspe besuchte sie den Rundweg über das ehemalige Gelände des KZ Stöcken und das dortige Mahnmal. Im Gedenkort Grotte im Neuen Rathaus fand sie den Eintrag zu ihrem Vater im Totenbuch für das KZ Stöcken, ehe sie am Grab ihres Vaters auf dem Stadtfriedhof Seelhorst eine Kerze entzündete. Begleitet bei ihrem Besuch wurden sie von Dr. Florian Grumblies vom ZeitZentrum Zivilcourage der Landeshauptstadt Hannover und Hans Hoffmann von der Arbeitsgemeinschaft KZ Stöcken sowie einem Dolmetscher.

 

v.l.: Dr. Jens Binner (Direktor des ZeitZentrum Zivilcourage), Marie Hélène Sagaspe, Marie Ange Sagaspe, Hans Hoffmann (Arbeitsgemeinschaft KZ Stöcken)

Nach oben