"Die Ampelkoalition verhandelt eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts. Aus meiner Sicht ist dies eine der wichtigsten Reformen dieser Legislaturperiode. Kaum etwas bewegt Menschen so sehr in ihrem Inneren, wie die Fragen, wo sie hingehören, wozu sie gehören wollen und wovon sie ausgeschlossen sind. Ich weiß das aus der Geschichte meiner eigenen Familie. Und weiß es aus ungezählten Gesprächen mit Menschen, die hier heimisch sind – aber bislang doch nicht dazugehören dürfen.
Als Oberbürgermeister darf ich regelmäßig sogenannte Einbürgerungsfeiern begleiten. Menschen, die viele Jahre schon in Hannover heimisch sind, erhalten in einem feierlichen Akt die deutsche Staatsbürgerschaft. Jedes Mal blicke ich in die Augen unserer Mitmenschen, die – nicht selten zu Tränen gerührt – den deutschen Pass entgegennehmen. In diesem Moment erkennt der deutsche Staat, und mit ihm wir als Deutsche an, dass das Leben, das sich diese Menschen hier aufgebaut haben, voll anerkannt ist, nichts Vorläufiges, sondern dauerhaft, bedeutend und gleichwertig. Es sind immer große Steine, die unseren Mitbürger*innen vom Herzen fallen, wenn sie spüren: Sie sind voll angekommen.
Ich freue mich deshalb sehr, dass Menschen zukünftig schneller und unkomplizierter die deutsche Staatsbürgerschaft erlangen können. Und ich freue mich insbesondere, dass es leichter wird, einen deutschen Pass neben der Staatsbürgerschaft eines anderen Landes zu erhalten. Genau das ist Ausdruck, der komplexen und internationalen Lebensrealität vieler Menschen. Der Doppelpass wertet die deutsche Staatsbürgerschaft sogar auf, weil Menschen zum Ausdruck bringen, dass sie Deutschland genauso verbunden sind, wie ihrer ursprünglichen Heimat. Heimat gibt es eben nicht nur in Einzahl, sondern für viele Menschen im Plural!
Was mir schleierhaft ist und bleibt, ist der Ton, mit dem insbesondere Konservative gegen eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts Stimmung machen. Ich verstehe nicht, wie man den vielen Millionen Menschen hier vor Ort, die jeden Tag ihren Mann oder ihre Frau stehen, vor den Kopf stoßen muss, um kurzfristig politische Geländegewinne zu verbuchen. Ich habe noch im Ohr, wie im vergangenen Jahr, als wir – auch hier in Hannover – das 60. Jubiläum des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens gefeiert haben, auch viele konservative Politiker*innen anerkennend zum Ausdruck gebracht haben, welch fordernde und doch so häufig erfolgreiche Lebensgeschichte diese Menschen hinter sich haben – eben weil es schwer ist, die Heimat zu verlassen. Und eben weil es besonders hart ist, anzukommen, wenn man von einer vermeintlichen Mehrheit eigentlich nur als Gast in seinem eigenen Leben betrachtet wird. Warum aus diesen überzeugenden und ehrlichen Worten nichts folgt, warum das offenbar nur Floskeln blieben: Das verstehe ich nicht. Für mich ist das ein tiefgreifender Verstoß gegen den zwischenmenschlichen Respekt. Und auch eine Aberkennung von Lebensleistungen, die hier in Deutschland erbracht wurden und tagtäglich erbracht werden.
Gar nicht erst anfangen will ich davon, dass Deutschland ein massives demographisches Problem hat, das wir unseren Fachkräftebedarf nicht aus eigener Kraft behoben bekommen, dass wir hierzu auf Migration aus Staaten außerhalb der EU angewiesen sind. Und ich will auch gar nichts weiter dazu sagen, dass – so leid es mir tut – Deutschland für viele internationale Fachkräfte nicht die erste Wahl ist. Auch weil Deutsch keine internationale Sprache ist. Aber eben auch nicht zuletzt deshalb, weil die Bleibeperspektiven komplizierter sind, als andernorts.
Kurzum: Mit welchen Worten Teile des politischen Konservatismus gegen die Reform des Staatsbürgerschaftsrecht agitieren, ist menschlich unanständig. Und es ist sachlich schädlich für Deutschlands Zukunft."