Geschichte

90 Jahre Stadtbibliothek am Aegi

Am 21. Mai feiert die Stadtbibliothek Hannover am Aegi ihren 90. Geburtstag. "Leider lässt es die aktuelle Corona-Lage nicht zu, dass wir eine große 90-Jahr-Party feiern, aber wir freuen uns, dass wir überhaupt geöffnet haben," sagt Kulturdezernentin Konstanze Beckedorf. 

Das Gebäude an der Hildesheimer Straße blickt auf eine spannende Geschichte zurück. "Von außen ist nicht sofort zu erkennen, welche Möglichkeiten diese Bibliothek bietet und welche innovativen Ideen und Konzepte bisher umgesetzt worden sind", so die stellvertretende Direktorin der Stadtbibliothek Hannover Jennifer Rohde.

Zur Geschichte – von 1931 bis heute

Seit 90 Jahren erhebt sich der rote Backsteinbau als "erstes Bücherei-Turmhaus Europas" (Hannoverscher Anzeiger vom 28.4.1931) an der Hildesheimer Straße.

Nachdem die Stadtbibliothek zuvor viele Jahre lang (seit 1889) sehr beengt im Kestner-Museum untergebracht war, erhielt sie 1931 erstmals in ihrer Geschichte (Gründungsdatum 1440) ein eigenes Haus. Wegen des nur sehr kleinen Grundstücks (16,5 mal 14,5 Meter) wurde anders als bei Bibliotheksbauten sonst üblich nicht in die Breite, sondern in die Höhe gebaut. Der zehngeschossige Bau bildet den Abschluss des Magazingebäudes für das städtische Theater und wurde als Stahlskelettbau mit Klinkerverkleidung errichtet. Die Pläne dafür stammten von Hans Bettex, dem Leiter des Entwurfsbüros unter Stadtbaudirektor Karl Elkart. Die Baukosten betrugen 365.000 Reichsmark. Dazu kamen noch Einrichtungskosten in Höhe von 130.000 Reichsmark.

Stahlskelett – Firmenfoto: Bode-Panzer AG, Hannover

Am 21. Mai 1931 wurde das Gebäude für das Publikum geöffnet. Konzipiert war die neue Stadtbibliothek als allgemeine Bildungsbibliothek. Sie beherbergte neben der Leihstelle auch drei Lesesäle mit Nachschlagewerken und Zeitschriften, die gegenüber den zwölf Plätzen im Kestner-Museum jetzt mehr als 100 Arbeitsplätze boten. Die Besucher*innen konnten die 140.000 Bücher der Stadtbibliothek nur über die Kataloge auswählen. In der Leihstelle gab es Tische und Pulte zum Einsehen der Bestandsverzeichnisse und zum Ausfüllen der Bestellzettel. Diese wurden dann mit einer Seilpostanlage in das Magazin geschickt. Dort wurden die gewünschten Titel herausgesucht und per Paternoster in die Leihstelle transportiert und ausgegeben.

Bereits damals war das Entleihen der Bücher kostenpflichtig: Die Vierteljahresgebühr betrug eine Mark. Nur drei Bücher durften auf einmal mit nach Hause genommen werden. Die Leihfrist betrug vier Wochen. Die Leihstelle hatte nur 21 Stunden in der Woche (gegenüber 48 heute) geöffnet, davon allerdings an zwei Tagen bis 20 Uhr. Die Öffnungszeiten der Lesesäle waren mit 35 Stunden pro Woche großzügiger bemessen. Der damalige Bibliotheksdirektor Dr. Friedrich Busch konnte bereits nach einem Vierteljahr eine Ausleihsteigerung um 75 Prozent verzeichnen.

Das Magazin war auf Zuwachs ausgelegt: Es bot Raum für 230.000 Bände auf fast acht Kilometern Regallänge. Als Gesamtbücherlast wurden 440 Tonnen angenommen. Bereits 1931 konnte man Notenbände einsehen und ausleihen, und es gab einen Übungsraum mit Flügel. Zusätzlich hatte das neue Haus einen Vortragsraum mit 130 Plätzen und Kinovorführmöglichkeit sowie ein kleineres Sitzungszimmer und Ausstellungsräume.

 

Die Stadtbibliothek im Jahr 1943

1943 ausgebrannt, wurde die Stadtbibliothek nach dem Krieg drei Mal erweitert: 1956 und 1974 jeweils entlang der Hildesheimer Straße, 2003 auf einem Restgrundstück im Innenhof.

Technische Neuerungen der 1950er Jahre waren beispielsweise die Ablösung der Leihscheine, die bis dahin jede*r für ein Buch ausfüllen musste, durch ein neuartiges Randlochkartenverfahren oder die schnelle Flachrohrpostanlage für Buchbestellungen aus dem Magazinturm. Die Musikbibliothek erhielt ein Schallplattenarchiv; modernste Phonosessel boten die Gelegenheit, die Schallplatten gleich vor Ort anzuhören.

Der zweite Anbau erfolgte 1974 nach einem Entwurf des Architekten Rolf Ramcke. Grauer. Grober Sichtbeton war das Erkennungszeichen dieser Architekturepoche, kontrastiert und aufgehellt durch magentafarbenen Teppichboden und blaugrüne Regale. Der Einsatz neuester Technik war auch in diesem Bauabschnitt wieder selbstverständlich: Fotoverbuchung an zwei Geräten, ein automatischer Anrufbeantworter nahm Leserwünsche außerhalb der Öffnungszeiten entgegen. Ein Faxgerät bot auch Privatpersonen die Möglichkeit, Dokumente zu versenden. In der Musikbibliothek standen zehn Plattenspieler mit insgesamt 30 Abhörplätzen mit Kopfhörern zu Verfügung. Wer selbst musizieren wollte, konnte sich in einen schallgedämmten Übungsraum mit Klavier und Cembalo zurückziehen. Das Klavierüben ist auch noch heute möglich: in diesem Raum oder am E-Piano im 5. Obergeschoss.

Der vorerst letzte Erweiterungsbau konnte am 25. August 2003 nach gut zweijähriger Bauzeit der Öffentlichkeit übergeben werden. Der neue Gebäudeteil im Hof nahm zuvor ausgelagerte Bereiche der Stadtbibliothek auf. Zugleich ermöglichte er eine Neuordnung der für die Besucher*innen etwas unübersichtlichen Bibliotheksfläche. Mit der neuen zentralen Halle unter einem Glasdach und den zur Halle hin offenen Etagen ist ein transparenter, zum Schauen, Arbeiten und Verweilen anregender Bibliotheksraum und ein neuer kultureller Ort in Hannover entstanden.

Aber auch der älteste Gebäudeteil erscheint wieder in neuem Glanz. Umfangreiche Fassadensanierungsarbeiten wurden im September 2006 abgeschlossen. Hierbei wurden auch die Fenster, die nach Kriegsschäden und auch in den 1950er Jahren nicht originalgetreu wiederherstellt wurden, nach dem Vorbild der Stadtbibliothek von 1931 gestaltet.

 

Die Stadtbibliothek in den 50ziger Jahren

Technische Neuerungen und die sich wandelnden Interessen und Bedürfnisse der stetig wachsenden Zahl von Bibliotheksbesucher*innen führten in den folgenden Jahren immer wieder zu kleineren Umbaumaßnahmen:

So wurden 2011 sämtliche Ausleih- und Rückgabetresen abgebaut. Bibliothekskund*innen können von nun an ihre Verbuchungen und Rückgaben mit Hilfe der RFID-Technik selbst erledigen. Darüber hinaus ist die Rückgabe ausgeliehener Medien nicht mehr an die Öffnungszeiten gebunden. Ein unauffällig in die historische Fassade integrierter Rückgabeautomat ist rund um die Uhr geöffnet.

Im 1. OG der Bibliothek ist im Januar 2014 die "Junge Bibliothek" eröffnet worden –  ein lang gehegter Wunsch von Eltern, Kindern und Jugendlichen. Sie bietet seitdem Kinderbücher und andere Medien, zum Beispiel Tonies und Spiele für die Kleinsten. Für Jugendliche und junge Erwachsene gibt es eine spezielle Medienauswahl (Comics, Mangas, Games, Jugendromane, Filme) und ein schönes grünes Sofa zum Entspannen.

2018 wurde im Erdgeschoss ein Kreativraum eingerichtet. Hier ist jetzt Platz für alle möglichen Aktivitäten, sowohl von Bibliotheksmitarbeiter*innen für Besucher*innen als auch für Angebote von Kund*innen für Kund*innen.

Verschiedene Veranstaltungsformate werden angeboten: mit dem 3-D-Drucker, VR-Brillen, kleinen Robotern ebenso Handlettering, Spielen und English Book Club-Nachmittage.

Die Bibliothek wird auch in Zukunft auf technische und gesellschaftliche Veränderungen reagieren. Das Haus hat in 90 Jahren bewiesen, dass es bei Wertschätzung seiner bauhistorischen Bedeutung, bei guter Pflege und Instandhaltung der älteren Gebäudeteile den modernsten Anforderungen stets gerecht werden kann. Analoge, virtuelle und digitale Angebote der Stadtbibliothek bilden gemeinsam mit Aufenthaltsqualität sowie Begegnungs- und Kommunikationsmöglichkeiten einen steigenden Wert für die Kund*innen und Besucher*innen.