Die fünf Säulen
1. Die Präsenz von Ordnungsdienst und Straßensozialarbeit soll intensiviert werden
2. Die Sauberkeit der Plätze soll verbessert werden
3. Die Hilfsangebote für Obdachlose, Trinker*innen und die offene Drogenszene soll dezentralisiert werden
4. Die Einrichtung einer Crack-Substitutionsstelle soll geprüft werden
5. Die Stadtentwicklungspolitische Situation des Areals Raschplatz, Weißekreuzplatz und Andreas-Hermes-Platz soll unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Einwohner*innenbeteiligungsverfahrens aus 2017/2018 und des Innenstadtdialogs "Hannover Mitte gestalten" weiter entwickelt werden.
Sozialdezernentin Sylvia Bruns und Ordnungsdezernent Dr. Axel von der Ohe haben die Drucksache, die nun zur Beratung in die Ratsgremien geht, am Dienstag vorgestellt. "Wir müssen die Hilfsangebote für die verschiedenen Nutzer*innengruppen, die derzeit rund um den Hauptbahnhof gebündelt sind, dezentralisieren. Mit dieser Maßnahme wollen wir die Konflikte vor allem der Trinker- und der Drogenszene untereinander, entzerren. Dabei kommt es auf die richtige Balance zwischen guter Erreichbarkeit und einer funktionierenden Entflechtungswirkung an", erläuterte Sylvia Bruns. "In der Pandemie ist die Zahl der Crackabhängigen in der Stadt gestiegen, für die es derzeit jedoch noch kein Substitutionsangebot gibt. Wir prüfen daher, nach den guten Erfahrungen mit der Diamorphin-Ambulanz in Hannover, die Möglichkeit einer Crack-Substitutionsstelle", so Bruns bei der Vorstellung weiter.
Dr. Axel von der Ohe führte aus: "Wir haben bereits in der Vergangenheit auf den Plätzen sehr intensiv mit ordnungsrechtlichen Maßnahmen gearbeitet und ergänzen diese Perspektive jetzt um weitere Bausteine. Das ist eine Chance für eine Verbesserung sowohl der objektiven Situation in den bahnhofsnahen Bereichen als auch in der subjektiven Wahrnehmung der Anwohner*innen."
Zur Ausgangslage
Die Areale Weißekreuzplatz, Andreas-Hermes-Platz und Raschplatz haben als zentrale innenstädtische Freiräume eine stadtweite Bedeutung. Zudem sind sie als Durchgangsraum und Aufenthaltsraum für die im Umfeld lebenden und arbeitenden Menschen sehr wichtig.
Die Plätze bilden eine Achse, an der sich sehr citynah eine große Anzahl von Menschen trifft, von denen sich einige in schwierigen Lebensumständen befinden. Es kommt zu Nutzungskonflikten zwischen Anwohner*innen, Gewerbetreibenden einerseits und Nutzer*innen der Plätze, die durch Alkoholkonsum, Drogenmissbrauch oder Straf- und/oder Ordnungswidrigkeitstatbeständen auffällig werden auf der anderen Seite. Die Corona bedingte Verknappung der Aufenthaltsmöglichkeiten in der Drogenhilfeeinrichtung Stellwerk hat zudem dazu geführt, dass sich die offene Drogenszene in Richtung des Raschplatzes bewegt. Insbesondere an den Wochenenden ist zudem vor allem der Raschplatz ein Anziehungspunkt für diverses "Partypublikum".
Das subjektive Sicherheitsempfinden vieler Bürger*innen und vor allem von Frauen, Menschen mit Behinderungen und Älteren ist besonders abends und nachts auf diesen Plätzen zum Teil empfindlich beeinträchtigt. Anwohner*innen fühlen sich durch Lärmbelästigung und mangelnde Sauberkeit gestört.
Diese Nutzungskonflikte sind in gesamtstädtischer Verantwortung zu betrachten und einzudämmen. Ebenso muss eine soziale Stabilisierung der betroffenen Nutzungsgruppen vorgenommen werden.
Die Stadtverwaltung hat diese Themen in den vergangenen Jahren intensiv bearbeitet. Zur Entwicklung von Weißekreuzplatz und Andreas-Hermes-Platz sowie der angrenzenden Bereiche der Lister Meile ist zudem in den Jahren 2017/2018 ein Beteiligungsprozess durchgeführt worden. Aktuell ist dieses Thema auch Bestandteil des breit angelegten Innenstadtdialoges. Zahlreiche sozialpolitische Projekte sind in unmittelbarer räumlicher Nachbarschaft etabliert und es wurde ein städtisches Ordnungs- und Sicherheitskonzept umgesetzt. Zudem ist im Rahmen des Projekts "bahnhof.sicher" für den Bereich von Hauptbahnhof und Raschplatz ein eng abgestimmtes Vorgehen mit Bundes- und Landespolizei sowie weiteren Sicherheitsakteur*innen verabredet worden.
Die aktuelle Situation zeigt, dass die getroffenen Maßnahmen nicht ausreichen. Trotz dieser verschiedenen Ansätze ist eine nachhaltige und stabile Verbesserung der Situation, beziehungsweise ein Rückgang der Beschwerdeintensität bislang nicht erreicht worden. Im Beteiligungsprozess wurde deutlich, dass die Mehrheit der Beteiligten sich auf dem Weißekreuzplatz eine Verringerung der Störungen sowie mehr Sauberkeit wünscht und möchte, dass der Platz grünbestimmt und für alle Alters- und Bevölkerungsgruppen nutzbar bleibt.
Die Verwaltung plant nun einen weiteren Anlauf zur Aufwertung des Quartiers zur Verringerung der bestehenden Nutzungskonflikte und für eine wirksame Verbesserung der sozialen Lage der Nutzer*innengruppen. Dieser Prozess zielt sowohl auf die Erzielung kurzfristiger Verbesserungen wie auch auf eine langfristige Perspektive ab.
Konkrete Maßnahmen
Präsenz des Ordnungsdienstes und der Straßensozialarbeit intensivieren
Regelmäßige und verstärkte Routinekontrollen im Areal sollen durch Ordnungsdienst und Sozialarbeit vorgenommen werden. Es wird ein koordiniertes Auftreten von Sozialarbeit und Ordnungsdienst an bestimmten Plätzen notwendig sein, um eine erhöhte Wirkung zu erzielen. Dieses gemeinsame Vorgehen durch Ordnungsdienst und Straßensozialarbeiter*innen soll in mehrfacher Hinsicht Synergien heben. Die Ergänzung von repressiven, präventiven und beratenden Elementen in der persönlichen Ansprache soll die eingesetzten Mitarbeiter*innen in die Lage versetzen, auf jede Situation adäquat zu reagieren und damit mittelfristig zu einer Verbesserung der Situation beizutragen.
Sauberkeit
Gemeinsam mit aha und anderen Fremdunternehmen gilt es sicherzustellen, dass eine konstante, zuverlässige Säuberung des Areals stattfindet, ausreichend Abfallbehälter zur Verfügung stehen und das öffentliche Toilettenangebot im Areal neu konzipiert wird. Hierdurch ist missbräuchlichen Nutzungen so effektiv wie möglich vorzubeugen.
Zentrales Element für die effiziente Säuberung der Flächen ist vor allem die Reinigung aus einer Hand.
Bedarfsorientierte Angebote für Hilfebedürftige Personengruppen dezentralisieren
Das Angebot an Beratungs- und Betreuungseinrichtungen ist in starkem Maße um den Hauptbahnhof herum angesiedelt. Entsprechende Einrichtungen sind nur dann funktional, wenn sie auch erreichbar sind und angenommen werden. Jedoch hat sich in den zurückliegenden Jahren verstärkt gezeigt, dass die zunehmende Nutzung der Angebote Begleiterscheinungen mit sich bringt, die das Quartier rundherum teilweise stark belasten, aber auch die verschiedenen Nutzer*innengruppen vor allem der Trinker- und der Drogenszene immer häufiger in Konfliktsituationen untereinander bringen. Eine räumliche Dezentralisierung und somit eine Entflechtung der Gruppen scheint daher die Komponente zu sein, die am ehesten einer gesamträumlichen Entspannung / Verbesserung der Situation zu Gute kommen kann. Es wird hier entscheidend darauf ankommen, die richtige Balance zwischen guter Erreichbarkeit, funktionierender Entflechtungswirkung durch Abstand und einer im Sinne der angrenzenden Quartiere ausgewogenen Einbindung in die dort bestehenden räumlichen Gegebenheiten auszutarieren. Innerhalb dieses Prioritätendreiecks gute Lösungen zu finden, wird eine herausfordernde Aufgabe, die die Kompromissbereitschaft aller Beteiligten voraussetzt.
Prüfung der Einrichtung einer Crack-Substitutionsstelle
Die Droge Crack ist kein neues Thema in der Drogenszene und der sie begleitenden Sozialarbeit. Dennoch ist sie bislang wenig beachtet in der Diskussion über Hartdrogensubstitution. Hannover verfügt mit der Diamorphinambulanz über eine Einrichtung, die Heroinabhängigen einen Weg aus der die Sucht umgebenden und begleitenden Lebenswelt ermöglicht. Es sind gesicherte Erfahrungen, dass Diamorphin-Patient*innen seltener kriminell werden, ihre zwischenmenschlichen Beziehungen pflegen und in Teilen die Erwerbsfähigkeit sogar wieder aufnehmen. Diamorphin hilft jedoch ausschließlich Heroinabhängigen. Für die schwerstabhängigen Menschen, die vorrangig Crack konsumieren, fehlt derzeit ein adäquates, medizinisches Angebot. Der damalige Prozess mit dem wissenschaftlich begleiteten Modellprojekt einer Diamorphinambulanz kann dazu als "Blaupause" für ein Angebotsversuch für Crackabhängige genommen werden. Die Landeshauptstadt betritt hier Neuland sowohl medizinisch als auch in Bezug auf das Betäubungsmittelgesetz. Im Zentrum des Angebotes soll eine medizinische Gabe stehen. Da die Abstände zwischen den einzelnen Konsumvorgängen deutlich kürzer als im klassischen "Druckraum" sind, ist es wichtig, eine Aufenthaltsqualität (WLAN, TV, Cafe etc.) anzubieten, um die Abhängigen für einen längeren Zeitraum an diese Einrichtung zu binden. Problematisch im Sinne der "harm reduction" ist der Gruppenkonsum von Crack, da hier eine hohe Ansteckungsgefahr für zum Beispiel Hepatitis C besteht. Der notwendige Einzelkonsum ist aber eine deutliche Umgewöhnung zu den bisherigen Konsumvorgängen, wie sie häufig in der offenen Drogenszene zu beobachten sind. Da viele der Abhängigen deutliche psychiatrische Auffälligkeiten zeigen, ist eine Kombination von Suchtmedizin und Psychiatrie sinnvoll, um den Menschen einen Weg zum Ausstieg überhaupt ermöglichen zu können.
Die Stadt benötigt für die praktische Umsetzung die enge Abstimmung mit der Region, sowie einem medizinischen Institut. Die Anmeldung als Modellprojekt erfolgt über das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte.
Stadtentwicklungspolitische Situation unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Bürger*innenbeteiligungsverfahrens
Das dargestellte ordnungsrechtliche und sozialplanerische Maßnahmenkonzept soll in eine langfristig tragfähige stadtentwicklungspolitische Leitidee für den gesamten "Zwischenraum", den Bereich zwischen Bahn und Cityring, eingebunden werden. Diese Leitidee soll die Aufgabe übernehmen, eine mittel- bis langfristige Perspektive für die Neuausrichtung und Stärkung dieses wichtigen Areals in zentraler Lage der Stadt, das derzeit weit unter seinen Möglichkeiten bleibt, zu erarbeiten und zu bieten.
Die künftige Ausrichtung dieses bahnhofsnahen Stadtquartiers, die nicht nur für dessen Qualität als Lebens- und Arbeitsstandort, sondern auch für eine attraktive fußläufige und radverkehrliche und damit strukturelle Anbindung der Oststadt an den Hauptbahnhof und die City von enormer Bedeutung ist, muss mit Eigentümer*innen, Bewohner*innen, den Betrieben, Verwaltungen, Institutionen und den dort arbeitenden Menschen, den Menschen, die sich hier aufhalten und weiteren Interessierten grundsätzlich erörtert, diskutiert und verhandelt werden. Dazu bedarf es in der Vorbereitung einer eingehenden Analyse, Wertung und Darstellung möglicher Entwicklungen in Kenntnis der Rahmenbedingungen.
Insgesamt unterliegt dieser Verfahrensvorschlag der Auffassung, dass der Raum zwischen der Bahnlinie und dem Cityring beziehungsweise zwischen der zentralen Innenstadt und den angrenzenden Wohngebieten (Oststadt und List) deutlichen Aufwertungsbedarf hat, aber auch erhebliche Chancen bietet, um über eine städtebauliche Leitidee und ein integriert angelegtes städtebauliches Maßnahmenpaket ein anderes Gesicht und eine "neue Adresse" zu bekommen.