Restitution und Schenkung eines Rokoko-Schranks und einer Stramin-Platte
Für den aus dem Eigentum Klara Berliners (1897 bis 1943) NS-verfolgungsbedingt entzogenen Rokoko-Schrank aus dem Museum August Kestner ebenso wie für ihre Handarbeit auf einer Stramin-Platte aus dem Historischen Museum hat die Landeshauptstadt Hannover durch umfangreiche und intensive Recherchen die rechtmäßigen Nachfolgeberechtigten ausfindig machen können. Es handelt sich um die Erb*innen Klara Berliners und dem mit den finanziellen Angelegenheiten der Erb*innengemeinschaft regelnden Manfred Berliner Trust (MBT) in Berkeley, CA (USA). „Ich freue mich, dass es gelungen ist, gemeinsam mit der Erb*innengemeinschaft und dem Manfred Berliner Trust eine gerechte Lösung im Sinne der Washingtoner Prinzipien für die Zukunft der beiden Objekte zu entwickeln“, betont Oberbürgermeister Belit Onay.
Stellten die Stramin-Platte und den Schrank aus dem Eigentum von Klara Berliner im Rahmen eines Pressegesprächs vor (v. l. n. r.): Dr. phil. Johannes Schwartz (städtischer Provenienzforscher), Prof. Dr. Thomas Schwark (Direktor Museen für Kulturgeschichte) und Oberbürgermeister Belit Onay.
Restitution und Schenkung
Die gemeinsam erarbeitete Vereinbarung zwischen der Landeshauptstadt Hannover und der Erb*innengemeinschaft sowie dem Manfred Berliner Trust sieht vor, den Rokoko-Schrank sowie die Handarbeit (Stramin-Platte) aus dem Eigentum Klara Berliners an deren Erb*innengemeinschaft zu restituieren sowie diese beiden Objekte als Schenkung an die Landeshauptstadt Hannover anzunehmen. „Damit soll sichergestellt werden, dass auch künftige Generationen über das ganze Ausmaß und den Schrecken der nationalsozialistischen Herrschaft am Fallbeispiel dieser materiellen Zeugnisse der Verfolgung Klara Berliners aufgeklärt werden können“, dankt Onay allen Beteiligten und insbesondere den Erb*innen.
Die Vereinbarung zu dieser besonderen Lösung geht nun zur Beratung in die politischen Gremien und wird dem Rat der Landeshauptstadt Hannover zur Entscheidung vorgelegt.
Intensive und erfolgreiche Recherche
Klara Berliner war die Tochter des Fabrikanten Joseph Berliner, geboren 1858, und seiner Frau Therese Wild (1864 bis 1934). Joseph Berliner war der Gründer der ersten Telefonfabrik in Europa und der ersten Schaltplatten-Fabrik auf europäischen Boden, der Deutschen Grammphon GmbH in Hannover, und der Bruder des berühmten Erfinders Emil Berliner (1851 bis 1929). Nach dem Tod ihres Vaters am 23. Mai 1938 wurde Klara Berliner seine Alleinerbin und in den folgenden Jahren NS-verfolgungsbedingt enteignet. Sie verstarb am 14. Dezember 1943 in Theresienstadt.
Nachdem es lange Zeit nicht gelungen war, rechtmäßige Erb*innen oder Nachfolgeberechtigte ausfindig zu machen, wurde der Rokoko-Schrank Anfang 2014 auf der offiziellen deutschen Online-Datenbank „Lost Art“ der damaligen Koordinierungsstelle für Kulturgüterverluste in Magdeburg veröffentlicht. Nachdem im Juli 2016 eine eigenständige Stelle für Provenienzforschung in den Museen für Kulturgeschichte und im Stadtarchiv geschaffen wurde, wurden die Forschungen zur NS-Verfolgungsgeschichte Klara Berliners und zu ihren möglichen rechtmäßigen Erb*innen intensiviert. Erste Forschungsergebnisse zu zwei im Amtsgericht Hannover gefundenen Testamenten und zur Identifizierung der heute noch lebenden, rechtmäßigen Erb*innen Klara Berliners wurden im Dezember 2018 vom Stadtarchiv Hannover herausgegeben (vgl. Johannes Schwartz: Die NS-Verfolgungsgeschichte der jüdischen Fabrikantentochter Klara Berliner aus Hannover und die Versuche der „Wiedergutmachung“, in: Hannoversche Geschichtsblätter Neue Folge, Bd. 72/2018. S. 261-286).
2018/19 stand der Schrank bereits im Mittelpunkt der Sonderausstellung „Spuren der NS-Verfolgung – Über Herkunft und Verbleib von Kulturgütern in den Sammlungen der Stadt Hannover“ im Museum August Kestner. Im Begleitband zu der Ausstellung wurden weitere Forschungsergebnisse präsentiert (vgl. Johannes Schwartz: „Der Preis für den Schrank“ ist „sehr billig“ - Der NS-verfolgungsbedingte Entzug des Rokoko-Schranks und der Stramin-Platte der jüdischen Fabrikantentochter Klara Berliner, in: Museum August Kestner, Johannes Schwartz und Simone Vogt [Hrsg.]: Spuren der NS-Verfolgung. Provenienzforschung in den kulturhistorischen Sammlungen der Stadt Hannover, Köln 2019, S. 94-119).
Der Journalist Lorenz Schröter interviewte daraufhin einige der rechtmäßigen Erb*innen Klara Berliners, die er gemeinsam mit der Provenienzforschung der hannoverschen Museen in Nordkalifornien ausfindig machen konnte. In Gesprächen hat dann die Kulturverwaltung der Landeshauptstadt Hannover gemeinsam mit den rechtmäßigen Erb*innen und dem Manfred Berliner Trust ein Lösungsmodell für die Zukunft dieses Schranks und der Stramin-Platte entwickelt.
Washingtoner Erklärung
Auf einer Konferenz in Washington am 3. Dezember 1998 haben 44 Teilnehmerstaaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland, eine Vereinbarung getroffen, ungeachtet von verstrichenen Verjährungsfristen unrechtmäßig enteignetes Kunstgut aus jüdischem Besitz, das sich heute möglicherweise noch immer in öffentlichen Sammlungen und Einrichtungen befindet, aufzufinden, zurückzuerstatten oder vergleichbare Lösungen für eine entsprechende Entschädigung zu finden.
Das bedeutet Restitution
Restitution bedeutet die Rückgabe von Kunstwerken an die ursprünglichen Eigentümer*innen bzw. an deren Erb*innen, die während der Zeit des Nationalsozialismus geraubt, enteignet oder zwangsweise verkauft wurden. Vorrangig erfolgt Restitution durch Rückgabe des geraubten Gegenstandes.