Wie viele ukrainische Schülerinnen und Schüler haben Sie bislang aufgenommen?
Peter Kindermann: Rund 50, bei regulär 1150 Schüler*innen. Ich hoffe, dass wir gewährleisten können, dass jeder und jede einzelne das richtige Maß an Aufmerksamkeit und Zuwendung bekommt.
Wie haben Sie sich auf die Aufnahme vorbereitet?
Peter Kindermann: Wir haben uns sehr schnell als Schulleitungsrunde zusammengesetzt. Ab den Osterferien kamen viele Anfragen zur Aufnahme von Schüler*innen per E-Mail. Einzelne Eltern standen sogar mit ihren Kindern, die sie gerne untergebracht sehen wollten, in der Tür. Da haben wir gemerkt, dass wir sofort ein Verfahren aufbauen und Verantwortlichkeiten innerhalb der Schulleitungsrunde und der Schulgemeinschaft festlegen müssen. Wir haben einen Workflow erstellt. Zunächst haben wir die E-Mail Abfrage standardisiert. Wir haben alles abgefragt, was wir an Dokumenten für die Aufnahme an der Schule brauchten. Dann wurde ein fester Aufnahmetermin festgelegt. Eine ganz wichtige Maßnahme war, dass wir den ukrainischen Kindern Paten an die Seite gestellt haben. Das sind Mitschüler*innen, die auch die ukrainische Sprache beherrschen. Die Neuankömmlinge wurden nicht nur mit Schulbüchern, sondern auch mit I-Pads ausgestattet – so dass sie Lern-Apps für die deutsche Sprache nutzen können. Wir haben auch eine Messenger-Gruppe für die Schüler eingerichtet, damit sie sich austauschen können.
Wiebke Puvogel: Ab dem Moment, in dem uns zwei Mitarbeiter*innen zur Verfügung standen, konnten wir dann zwei Willkommensklassen starten. Eine Mitarbeiterin konnte russisch und mittlerweile konnten wir sogar eine Deutschlehrerin aus der Ukraine bei uns einstellen.
Peter Kindermann: Es gab eine Welle der Hilfsbereitschaft an unserer Schule. Wir haben aber auch von unseren Erfahrungen profitiert, die wir im Jahr 2015 gemacht haben. Auch bei der damaligen großen Migrationsbewegung waren etliche geflüchtete Kinder und Jugendliche zu uns an die Schule gekommen.
Wie binden Sie denn die Eltern der ukrainischen Kinder und Jugendlichen ein?
Wiebke Puvogel: Wirklich hilfreich war ein Elterntag. Wir haben eine Art Willkommensnachmittag, für die Eltern und die ukrainischen Schüler*innen organisiert. So haben wir alle mit unseren Informationen erreicht. In diesem Rahmen konnten wir viele Fragen klären. Die Eltern hatten außerdem die Möglichkeit, Kontakte untereinander zu knüpfen.
Peter Kindermann: Die Organisation der Aufnahmen war eine Sternstunde der Schulleitungsrunde. Wir haben gemerkt, dass eine kritische Situation vorherrscht und haben sie in einem transparenten Verfahren in den Griff bekommen, um schnell für Ordnung zu sorgen.
Wird in den Willkommensklassen gesondert darauf geachtet, dass Deutsch unterrichtet wird?
Peter Kindermann: Deutsch ist der Schlüssel für alles: ob in der Schule oder im Alltag. Es ist natürlich schwierig, 50 Schüler*innen differenziert voran zu bringen. Deshalb sind wir sehr dankbar darüber, dass uns die Stadt Hannover schnell und unkompliziert iPads zur Verfügung gestellt hat. So lässt sich ein individuelles Arbeiten möglichen. Wenn man Sprach-Lern-Apps benutzt, können die Schüler*innen freier lernen. Aber im Moment nehmen sie auch jeden Tag an ihren Regelklassen teil, um sich integrieren zu können.
Die Grundidee ist, dass alle möglichst im Gleichschritt Deutsch lernen. Die ukrainischen Kinder und Jugendlichen wollen das auch, denn keiner hat die Perspektive, in drei Monaten wieder nach Hause zurückzukehren. Es ist der ausdrückliche Wunsch der Geflüchteten, hier anzukommen.
Wie lange läuft denn die Unterstützung?
Peter Kindermann: Das hängt vom Einzelfall ab, aber die meisten Schüler*innen werden sicherlich noch dieses ganze Schuljahr in der Willkommensklasse sein. Wenn Schüler aber die Perspektive haben sollten, bald wieder in die Heimat zurückzukehren, dann können sie einfach in der Willkommensklasse bleiben und nur Deutsch lernen. Das hat allerdings den Nachteil, dass sie keinen Lernfortschritt wie in einem regulären Bildungsjahr erzielen. Da bleibt vieles auf der Strecke.
Wir können aber nicht in die Zukunft gucken. Wir müssen Zeugnisse ausstellen können und Abschlüsse ermöglichen, weil wir auch einige Schüler in den neunten und zehnten Klasse aufgenommen haben. Diesen Schülern kann man nicht nur sagen, Ihr lernt hier Deutsch und dann geht Ihr als 16-Jährige von unserer Schule und habt keine Perspektiven.
Die Paten und die Willkommensklassen haben Sie schon angesprochen. Was tun Sie noch dafür, dass sich die Geflüchteten in der Schule wohlfühlen?
Peter Kindermann: Lehrer der Regelklassen haben sich beispielsweise bereit erklärt, die Schüler*innen mit auf Landheimfahrt zu nehmen.
Wiebke Puvogel: Es gibt viele Initiativen, um den ukrainischen Kindern zu helfen. Schüler*innen haben Waffeln oder Kekse gebacken. Andere haben gelb-blaue Pompons für Schlüsselanhänger hergestellt. Gemeinsam mit dem Kaiser-Wilhelm Ratsgymnasium haben wir Anfang Mai einen Spendenlauf organisiert für verschiedene Organisationen, die in der Ukraine-Hilfe engagiert sind. Damit zeigen wir den Geflüchteten, dass wir solidarisch sind – das ist sehr wichtig.
Peter Kindermann: Wir haben eine Dankes-Urkunde von der Organisation „Deutschland hilft“ bekommen. Wir haben 15.000 Euro als Schule gesammelt und gespendet. Auch haben wir Begrüßungsmappen erstellt, mit kleinen Postkarten - damit die ukrainischen Schüler den Vätern, die zumeist in der Ukraine geblieben sind, schreiben können.
Wie hat die Stadt Hannover ihnen in der Situation geholfen?
Wiebke Puvogel: Das funktioniert gut und reibungslos. Wir haben die Zusage, dass wir Zuschüsse erhalten, falls wir sie brauchen. Auch mit der Bestellung der iPads war es unkompliziert. Die Stadt hat die Kosten übernommen und innerhalb eines Monats die Geräte zur Verfügung gestellt. Außerdem finanziert die Stadt das Mittagessen für die ukrainischen Kinder.
Haben Sie auch Angebote für die Schüler*innen, die über den normalen Schultag hinausgehen?
Peter Kindermann: Wir wollen uns perspektivisch um Angebote für die Geflüchteten kümmern, die über den normalen Schulalltag hinausgehen. Wir setzen dabei auf die Expertise einer neuen Mitarbeiterin, die bald zu uns kommt. Sie hat Erfahrung mit Integrationsprojekten für ukrainische Kinder.
Kam oder kommt es zu Konflikten zwischen Kindern mit russischen Wurzeln und ukrainischen Geflüchteten?
Peter Kindermann: Klares Nein. Da haben wir kein Problem. Ganz im Gegenteil. An unserer Schule sind viele Kinder deutsch-russischer Eltern, eine große Community. Die sind stark als Übersetzer*innen und Paten der ukrainischen Gastschüler eingebunden.
Wie arbeiten Sie denn das Thema Krieg in den Klassen auf?
Wiebke Puvogel: Wir greifen es immer dann auf, wenn die Klassen darüber sprechen möchten. Es geht uns darum, dass Schüler*innen ihre Empfindungen mitteilen können, wenn sie möchten, und dass wir ihnen das Gefühl geben, dass sie aktiv werden können.
Peter Kindermann: In der Anfangszeit gab es regelmäßig Pausenangebote, initiiert von der Schülervertretung und begleitet durch einen Politik- und Klassenlehrer. Da kam eine Handvoll Schülern*innen, die über die Thematik sprechen wollten. Das lief über mehrere Wochen. Bewusst verzichtet haben wir auf ein Schulprojekt zu dem Thema, weil der Krieg nicht zu sehr in den Mittelpunkt rücken sollte. Man weiß ja nicht, was das bei einzelnen Schülern auslösen kann.
Und wie erleben Sie die ukrainischen Kinder und Jugendlichen an Ihrer Schule?
Peter Kindermann: Wir erleben, dass sie am liebsten in ihren Willkommensklassen bleiben möchten. In ihrer Community, in der sie sich wohlfühlen. In ihrer Community, in der sie sich wohlfühlen. Es sind nur wenige Leistungsträger, die sofort ganz in die Regelklassen wechseln wollen.
Das zeigt: Uns steht die eigentliche Aufgabe noch bevor. Nachdem wir das anfängliche Chaos bei der Aufnahme bewältigt haben, muss es uns nun darum gehen, die einzelnen Schüler*innen in die Schule und in die Klassengemeinschaften zu integrieren. Das ist die herausfordernde Aufgabe.
Die ukrainischen Geflüchteten wollen dabei sein, ihre Jugend leben, Freunde finden. Aber da ist zunächst die Sprachbarriere. Wir wollen sie dabei unterstützen, sich so schnell wie möglich bei uns zurechtzufinden. Denn wer weiß, ob sie überhaupt in ihre alte Heimat zurückfahren können.
Dieses Interview wurde von Moritz Neubauer (Volontär der Landeshauptstadt Hannover) geführt.