Gedenken an die Befreiung

OB Belit Onay: Der Frieden muss über den Krieg siegen

In Hannover fand anlässlich des Tages der Befreiung am 8. Mai eine Gedenkveranstaltung statt.

Kränze bei der Gedenkveranstaltung zum Tag der Befreiung am 8. Mai

Vor 77 Jahren, am 8.Mai 1945, endete der Zweite Weltkrieg in Europa. Oberbürgermeister Belit Onay nahm gemeinsam mit Dirk Schulze, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Hannover, Dinah Stollwerck-Bauer, Vorsitzende Bezirksverband Hannover des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. und Iryna Tybinka, Generalkonsulin der Ukraine in Hamburg an einer Gedenkveranstaltung am Ehrenfriedhof Maschsee-Nordufer teil. Als Lead City des Mayors for Peace Netzwerkes setzt sich Hannover für ein friedliches Zusammenleben der Menschen und nukleare Abrüstung ein.

Die Hoffnung, dass auf europäischem Boden nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nie wieder eine kriegerische Aggression die europäische Sicherheitsordnung zerstören würde, ist mit dem Einmarsch russischer Truppen in die souveräne, unabhängige Ukraine zerschlagen worden. Europa, Deutschland und Hannover stehen solidarisch an der Seite der Ukraine. Dies kam ebenfalls auf der Gedenkveranstaltung zum Ausdruck. Oberbürgermeister Onay setzte sich in seinem Grußwort auch für die Abschaffung von Atomwaffen ein und verurteilte die Androhung ihres Einsatzes durch Russland.

Grußwort Oberbügermeister Belit Onay:
 

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Frau Generalkonsulin Tybinka, liebe Frau Stollwerck-Bauer, lieber Herr Schulze,

heute vor 77 Jahren wurde der Zweite Weltkrieg in Europa beendet. Weit über 60 Millionen Menschen sind durch diesen Krieg ums Leben gekommen. Es sind Menschen, die durch Waffen im Krieg starben, aber auch Millionen von Menschen, die Opfer deutscher Massenverbrechen wurden: Einsortiert als jüdische Personen, Sinti*zze und Rom*nja, Homosexuelle, Widerständler*innen und politische Gegner*innen, sogenannte „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“, Kranke und nicht angepasste Jugendliche, die in Konzentrationslager deportiert und getötet wurden sowie Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die in vielen deutschen Betrieben zur Arbeit gepresst wurden und vielfach starben.

Als der Zweite Weltkrieg in Europa am 8. Mai 1945 beendet wurde, erwuchs die Hoffnung und der Wille, dass es auf unserem Kontinent, der so kurz hintereinander zwei Weltkriege erlebt hatte, nie wieder eine solche Katastrophe geben sollte. Dass die Menschheit aus diesen Tragödien die Lehre gezogen hat: Nie wieder!

Dieses Grundverständnis wurde am 24. Februar dieses Jahres zutiefst erschüttert: Das russische Regime hat den unabhängigen und souveränen Staat Ukraine angegriffen und die bisherige europäische Sicherheitsordnung zerstört. Die kriegerische Aggression hält unvermindert an - mit all ihrer Grausamkeit, ihren dramatischen Folgen und furchtbaren Gräueltaten. Mit nachweisbar begangenen Kriegsverbrechen.

Viele hatten gehofft, dass die russische Aggression durch die Minsker Friedensabkommen einzuhegen wäre; dass der Frieden zu retten sei. Viele unterlagen damit einer Fehleinschätzung, die die vielen Opfer in der Ukraine mit ihrem Leben bezahlt haben.

Ja, vermutlich hätte es ein stärkeres Eingreifen der Weltgemeinschaft nach der Annexion der Krim 2014 gebraucht und eben nicht den Ausbau von Gasleitungen. Wir haben nur am Rande zur Kenntnis genommen, dass schon viele Jahre ein kriegerischer Konflikt in der Ostukraine herrschte. Wir haben nicht auf die schon lange geäußerten Sorgen und Mahnungen unserer osteuropäischen Nachbarn mit Blick auf Russland gehört, sie nicht hören wollen. Zugunsten unserer Wohlstandes, der Wirtschaft, der eigenen Interessen.

Jetzt, 77 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, wüten russische Truppen in unserem europäischen Nachbarland. Was das bedeutet hat Vitali Klitschiko, der Bürgermeister von Kiew in einer bewegenden Rede vor unserem Rat berichtet. Besonders beeindruckt hat mich seine Schilderung von einem kleinen 8- jährigen Jungen, der Vater und Mutter durch einen Angriff verloren hat. „Wie?“, so Klitschko, sollte ich das dem Jungen sagen, der in den Trümmern des Krieges nach seinen Eltern suchte?“ Diese Berichte lassen niemanden kalt. Diese Berichte zeigen: das größte Opfer eines jeden Krieges ist die Zivilbevölkerung; sind kleine Kinder wie dieser Junge, der durch Waffen zum Waisenkind gemacht wird. 

Meine Damen und Herren, und deshalb stehen wir solidarisch an der Seite der Ukraine und unterstützen unseren europäischen Nachbarn, mit humanitärer Hilfe, mit finanzieller Unterstützung, und ja, auch mit Waffen. Aber wir sagen auch: Die Tür für den Frieden muss offen gehalten werden. Dieser Krieg muss aufhören, das Blutvergießen muss ein Ende finden, der Frieden muss über den Krieg siegen!

Dafür setzen wir uns auch im weltweiten Netzwerk der Mayors for Peace ein. Putin droht vor unserer Haustür zur Erreichung seiner politischen Ziele unverhohlen mit dem Einsatz von Atomwaffen. Deshalb ist es wichtig, dass der Atomwaffenverbotsvertag, der diese Massenvernichtungswaffen verbietet, von weiteren Staaten, auch von Deutschland, unterzeichnet wird. Atomwaffen dürfen niemals wieder eingesetzt werden!

Liebe Gäste,

die durch die russische Aggression ausgelöste größte Flüchtlingsbewegung seit Ende des Zweiten Weltkriegs erreicht auch unsere Stadt. Und trifft auch hier auf eine große Solidarität: Sach- und Geldspenden werden geleistet, die Menschen rücken zusammen und nehmen geflüchtete Ukrainerinnen und ihre Kinder auf.

Wir als Stadtgesellschaft halten auch in schwierigen Zeiten zusammen und zeigen, dass wir füreinander einstehen. Viele Ehrenamtliche, Vereine und Verwaltungsmitarbeiter*innen arbeiten jeden Tag unermüdlich dafür, dass die Menschen aus der Ukraine in unserer Stadt gut aufgenommen werden, bietet Ihnen Schutz und Teilhabe. Dafür möchte ich mich bei allen ausdrücklich bedanken!

Solidarität und Miteinander sind die Grundpfeiler, auf denen unsere Gesellschaft aufgebaut ist. Und ich bin sehr froh, zu sehen, dass sich diese hier in Hannover so deutlich zeigen. In dieser Zeit des Krieges ist es das, was uns Mut macht: die große Solidarität mit der Ukraine, mit den Geflüchteten, aber auch die Geschlossenheit Europas bei der gemeinsamen Verurteilung des Krieges.

Lassen Sie uns noch einmal in die Vergangenheit blicken. Als fast mahnendes Zeichen steht hier an diesem Tag das Gedenkbuch für die Opfer des KZ Stöcken. Das KZ Stöcken war eines der sieben hannoverschen KZ-Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme. Die Historikerin Janet Freifrau von Stillfried hat in unserem Auftrag die Namen der Menschen erforscht, die im KZ Stöcken oder auf den „Todesmärschen“ von dort gestorben sind. Sie sind zusammengetragen in diesem Gedenkbuch. Unter dem Motto „Eine Seite – ein Name – ein Schicksal“ werden die Namen einzeln aufgeführt. Diese Seiten stehen jeweils für einen Menschen, eine individuelle Person mit Hoffnungen, Wünschen und Ängsten und einer eigenen Leidens- und Verfolgungsgeschichte.

Viele Seiten in den Gedenkbüchern sind fast weiß, es steht nur „Unbekannt“ auf ihnen – sie stehen für die unzähligen Opfer, deren Namen wir nicht in Erfahrung bringen konnten. Doch auch sie sollen und müssen genannt werden, um ihrer zu gedenken.

Die Schülerinnen und Schüler der St. Ursula-Schule werden uns gleich eine Biographie aus dem Gedenkbuch exemplarisch vorstellen – an dieser Stelle einen herzlichen Dank dafür. Zukünftig werden Sie, liebe Gäste, das Gedenkbuch in dem Gedenkraum „Grotte“ im Neuen Rathaus finden – im Herzen unserer Stadt.

Es ist heute wichtiger denn je, innezuhalten und uns bewusst zu machen, dass wir auch 77 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges unseren Einsatz für Demokratie, Frieden und Menschenrechte bekräftigen müssen. Gesellschaftliche Errungenschaften sind nie ein und für allemal gesichert, sie müssen stetig neu gelernt werden. Wenn wir eine lebenswerte, friedliche und demokratische Zukunft haben wollen, dann liegt dies in unserer eigenen Verantwortung! Lassen Sie uns gemeinsam dafür einstehen.

Vielen Dank!