Erinnerungsort

KZ Misburg (Deurag-Nerag)

Das KZ-Außenlager in Misburg bestand von Juni 1944 bis April 1945. Die rund 1.200 Häftlinge aus der Sowjetunion, Polen, Frankreich, Belgien und anderen Ländern mussten auf dem Gelände der angrenzenden Erdöraffinerie (Deurag-Nerag), die von Bomben schwer beschädigt war, Trümmer beseitigen und Bomben räumen. Heute erinnert ein Mahnmal am ehemaligen Lagergelände an die Geschichte des KZ Misburg.

Mahnmal für das KZ Misburg an der Hannoverschen Straße, Ecke Kanalstraße, 2023

Das Konzentrationslager in Misburg entstand auf dem Gelände der Raffinerie Deurag-Nerag. Diese gehörte während des Zweiten Weltkrieges zu den wichtigsten Lieferanten von Flugmotorenöl und Benzin. Als kriegswichtiges Ziel für die Alliierten wurde die Raffinerie bei Luftangriffen am 18. und 20. Juni 1944 schwer getroffen. Für die Wiederinstandsetzung der Produktionsanlagen forderte das Unternehmen KZ-Häftlinge bei der SS an. Als am 26. Juni 1944 die ersten Häftlinge in Misburg ankamen, gab es noch keine Wohnmöglichkeiten, abgesehen von Zelten oder Erdhöhlen. Bis zur Fertigstellung der Baracken im Winter 1944/1945 mussten viele der Häftlinge im Freien übernachten. In der Raffinerie bewältigten die Häftlinge ohne Hilfsmittel schwerste Enttrümmerungsarbeiten und errichteten etwa Bombenschutzwände. Eingesetzt wurden sie auch bei beim Aufspüren und Räumen von Blindgängern im Werk und in Misburger Wohngebieten.

Das KZ Misburg wurde am 6. April 1945 geräumt. Die Häftlinge wurden zu Fuß auf einen sogenannten "Todesmarsch" Richtung Norden gezwungen. Vermutlich war das Ziel das Stammlager, das Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg. Unterwegs wurden die Häftlinge aber nach Bergen-Belsen umgeleitet, wo sie schließlich befreit wurden. Die Kranken und nicht marschfähigen Häftlinge wurden am 8. April 1945 per LKW aus Misburg direkt nach Bergen-Belsen transportiert.

Gedenktafel am Mahnmal für das KZ Misburg, 2023

An die Häftlinge des KZ Misburg und ihr Schicksal erinnert seit 1979 eine Bronzetafel auf dem Waldfriedhof Misburg. Am ehemaligen Lagergelände befindet sich seit 1989 ein Mahnmal des Künstlers Eugène Dodeigne. Im auf dem ehemaligen Lagergelände errichteten Wohngebiet wurden 1989 drei Straßen nach ehemaligen Häftlinge benannt: Robert Gertser, Jean Baileux und Albert Aubry.

Zur Information:
Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge für die Rüstungsindustrie in Hannover

Nach dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 führte die Rekrutierung der männlichen wehrdiensttauglichen Bevölkerung zum Dienst in Marine, Luftwaffe und Wehrmacht zu großen Problemen an der Heimatfront. Nach Kriegsbeginn fehlten überall Arbeitskräfte in den heimischen Betrieben. Schon bald versuchte der NS-Staat durch den Einsatz ausländischer ziviler Zwangsarbeiter aus den eroberten Ländern (Polen, Niederländer, Franzosen, Russen u.a.m.) den Arbeitskräftemangel im Deutschen Reich zu beheben. Es kam zur Einrichtung von zahlreichen Zwangsarbeitslagern im Raum Hannover. Daneben wurden auch Kriegsgefangene als Arbeiter in Rüstungsbetrieben eingesetzt, um den Mangel zu kompensieren. Seit 1942 forderten das Rüstungsministerium und Vertreter der Industrie zur Aufrechterhaltung der Kriegsproduktion verstärkt KZ-Häftlinge, die sich in der Gewalt der SS befanden, als Arbeitskräfte an. In der Folge entstanden – teils von den Unternehmen selbst errichtete – kleinere Konzentrationslager, einige davon noch im letzten Kriegsjahr.

Ende 1944 waren rund 40 Prozent der Arbeitskräfte in Hannover Zwangsarbeiter*nnen und KZ-Häftlinge. Die sieben hannoverschen Konzentrationslager gehörten zu den 85 Außenlagern des KZ Neuengamme bei Hamburg, in denen mehr als 40.000 Menschen inhaftiert waren. Unterbringung, Ernährung, Hygiene und Arbeitsbedingungen in den KZ-Außenlagern waren katastrophal. Zu den qualvollen Lebens- und Arbeitsbedingungen kamen Misshandlungen durch das Lagerpersonal sowie durch die zur Kontrolle eingesetzten Funktionshäftlinge und Vorarbeiter in den Betrieben. Sicherheits- oder Schutzmaßnahmen beim Arbeiten waren kaum vorhanden, Arbeitsunfälle an der Tagesordnung. Arbeitsunfähige Häftlinge wurden mit Billigung der Unternehmen gnadenlos gegen neue Häftlinge ausgetauscht. Wer nicht mehr konnte, wurde über das KZ-Neuengamme deportiert und ermordet.