Gebäuderundgang

Die Kuppel

Blick zur Rathauskuppel

Ein Rathaus mit Kuppel? Vielen Zeitgenossen erschien das undenkbar. Ein Rathaus hatte nach landläufigen Vorstellungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts einen Turm zu haben und tunlichst im neugotischen Stil errichtet zu werden. 

So spottete denn auch Hermann Löns, zur Zeit der Architektenwettbewerbe für den Rathausneubau in einem Gedicht unter dem Titel "Baukuppelei":

"Nicht morgenländischer kann es wohl
in Kairo und Bagdad ausschaun,
als hier bei uns, wo sie jetzt nur
noch runde Kuppeln baun."

Zu Unrecht. Löns, der Heidedichter und glühende Nationalist (er fiel als Kriegsfreiwilliger schon im September 1914 in Frankreich), hatte zu kurz gegriffen. Spannend: Die Kuppel hat in der Geschichte der Baukunst seit der Antike manchen Bedeutungswandel erfahren. Sie überdacht Tempel, Mausoleen, christliche Kirchen, Schlösser, Parlamente und Museen.

Schon gar nicht war sie eine ureigene Erfindung des islamischen Orients. Dass sie sich als Standardform der Moschee etablierte, geht vielmehr auf die Islamisierung der ursprünglich christlichen Hagia Sophia in Konstantinopel, dem späteren Byzanz, zurück. Im Jahr 1453 war dieser letzte Rest des römischen Imperiums, das einstige Ostrom, nach der Eroberung durch die Türken gefallen und heißt heute Istanbul.

Die Rathauskuppel

Kuppeln (lateinisch cupa. Kufe, Tonne, Grabgewölbe) waren im alten Griechenland gebräuchlich und dann in Rom. Sie galten als Symbole des Himmelsgewölbes und der kosmischen Vollkommenheit. Das Pantheon (als Tempel errichtet in den Jahren 118 bis 125) mit seinen für damalige Verhältnisse gewaltigen Abmessungen gilt als die Mutter aller bedeutenden Kuppelbauten der späteren Zeit, auch der genannten Hagia Sophia in Byzanz. Beliebt war sie als Bekrönung von Grabmälern wie beim berühmten Mausoleum für den Gotenkönig Theoderich im italienischen Ravenna. Wer den Wechselbeziehungen zwischen dem byzantinischen Kulturkreis  und dem zerfallenen Westrom auf die Spur kommen will, mag sich im oberitalienischen Padua die großen Kirchenbauten mit ihren halbkugelförmigen Kuppeln anschauen, zum Beispiel den Dom und den Santo (1232 bis 1290).

Trotzdem kam eine spannende Diskussion auf, als die Kuppel in Renaissance und Barock ein großes Comeback im Kirchenbau erlebte. War das nicht vor allem die Form von Tempeln und Grabmälern heidnischer Kaiser und Könige gewesen? Die Geschichte hat diese Frage sehr eindeutig beantwortet.

Der Dom in Florenz, St. Peter in Rom, das anglikanische Gegenstück St. Paul’s Cathedral in London zeigen, wie sich die Kuppel als Zeichen für Einheit, Unendlichkeit und Vollkommenheit im christlichen Kirchenbau durchgesetzt hat. Allein der  Protestantismus hielt sich der Kuppel lange fern, zu sehr war diese Bauform mit der Papstkirche in Rom verbunden. Allerdings gibt es auch da eine große Ausnahme, von der noch zu reden sein wird.

Grabmahl, Tempel, christliche Kirche, Moschee – soweit war die Kuppel über Jahrhunderte in der Baukunst dem überweltlichen, dem sakralen Bereich zugeordnet und vorbehalten. Doch der Mensch neigt dazu, sich selbst zu erhöhen. Der italienische Baumeister Palladio setzt die flache Kuppel in seinen exemplarischen Villenbauten ein. Im 17. Jahrhundert hält die Kuppel Einzug in die repräsentativen Schlossbauten des Adels in Italien und Frankreich. Schließlich okkupiert sozusagen auch das säkularisierte Preußen den Klassiker für Schlossbauten in Berlin (Charlottenburg, 1702) und in Potsdam, wo Friedrich der Große selbst für das neue Palais in Sanssoucis (1763 bis 1766) die Entwürfe konzipiert.

Der Sprung aus dem sakralen und feudalen Symbolkreis in den politischen gelingt der Kuppel im nachrevolutionären Paris. Die Nationalversammlung beschließt die Umwandlung der gerade erst errichteten Kirche der Stadtheiligen Sainte Genieve in ein „Pantheon Francais“, eine Ehrenstätte für große Denker und Vorkämpfer der Freiheit wie Voltaire und J.-J. Rousseau.

Von da an geht es Schlag auf Schlag. Das unabhängige Amerika schafft sich mit der hohen Kuppel über dem Parlament in Washington, dem Kapitol, mit dem Umbau 1855 ein Monument für die Demokratie. Kuppeln bekrönen das Parlamentsgebäude in Budapest, den Justizpalast in Brüssel, das Reichsgericht in Leipzig (heute Bundesgerichtshof) und als Höhepunkt natürlich das Reichstagsgebäude von Paul Wallot in Berlin, das nach einem Wettbewerb 1882 endlich 1892 feierlich eingeweiht wurde. Der Reichstagsbau war ein Signal für weitere   Großbauprojekte im Reich und hat schließlich auch den Rathausbau in Hannover maßgeblich beeinflusst. Mit dem Argument, das Rathaus sei auch Parlament, setzten sich die Kuppelbefürworter, an der Spitze Stadtdirektor Heinrich Tramm, schließlich mit dieser Lösung durch. Längst war der neue protestantische Berliner Dom von einer Kuppel überwölbt worden. In Hannover wurde 1902 das damalige Provinzialmuseum (heute Landesmuseum) am Maschpark von Architekt Hubert Stier eröffnet. Die Kuppel war zum allgemeinen Symbol für nationale und kulturelle Größe avanciert. Als solche vom Bürgertum adoptiert, gelang mit ihr sogar der Spagat zwischen schlossähnlichem Kommunalpalast und Parlament. Obwohl das gewählte Bürgervorsteherkollegium  zu jeder Zeit die Vertretung nur einer kleinen Minderheit war. 


Texte mit freundlicher Genehmigung von Michael Krische.