Gebäuderundgang

Die Umgänge

Jugenstilfoyer vor Gobelin- und Mosaiksaal

Da gehen den Besuchern die Augen über. Zu den schönsten Jugendstil-Raumschöpfungen im hannoverschen Rathaus zählen die Foyers vor dem Mosaiksaal östlich und dem Gobelinsaal westlich des Ratssaales im ersten Obergeschoss. 

Wer die Baugeschichte des Hauses nicht kennt, wird sich vielleicht wundern: In halbkreisförmigen Lunetten über den Eingängen zu den heutigen Sitzungssälen treiben Harlekine und andere sinnesfrohe Gestalten ihren Schabernack. Das soll kein Seitenhieb sein auf Ernst oder Unernst der Debatten, die hinter diesen Türen an Sitzungstagen ausgefochten werden. Handelt es sich doch hier um die Vorräume zu den einstigen Festsälen (siehe Kapitel: Ratssaal). Die architektonischen Details kommen noch besser zur Geltung, seit im Zuge der Rathaus-Renovierung die Wandfarbe aufgefrischt und die Belichtung durch zusätzliche Pendelleuchten verbessert worden ist.

Schon von Hermann Eggert geplant, hat sein Nachfolger Gustav Halmhuber den beiden Foyers ihr noch heute viel bewundertes Gepräge gegeben. Je zwei Rundbögen unterteilen die zweischiffigen Hallen. In ihren Gurtbogenfriesen tummeln sich tanzende und musizierende Putten. Die Mädchen- und Knabengestalten sind aus Gold unterlegten Glasplatten gearbeitet und erstrahlen in dem schwarzen Untergrund des Frieses um so auffälliger. In die schon von Eggert entworfenen Mittelsäulen hat Halmhuber an jeweils zwei Seiten Wandleuchten auf reflektierenden Messingschilden eingefügt. Der Fußboden besteht aus rotem und schwarzem Marmor in Kreis- und Quadratmustern. Scheinkamine sind mit durchbrochenen Metallblenden geschmückt (nur teilweise erhalten). Da hätte die rechte Vorfreude aufkommen können vor einem großen Rathausball oder einem Konzert im Tristansaal. Doch daraus wurde bekanntlich nichts. Die Vorfreude auf eine vielleicht dreistündige Sitzung des Ratsausschusses für Umwelt und Stadtgrün mit 34 Tagesordnungspunkten hält sich bei manchem Teilnehmer trotz der stimmungsvollen Ausstattung der Vorräume in Grenzen.

Versetzte Tugenden

Zwischen den beiden ehemaligen Festfoyers läuft die große Festtreppe der Kuppelhalle heute direkt auf die nördliche Außenwand des Ratssaales zu. Die vier monumentalen Halbreliefs aus grauem Kirchheimer Marmor (ein Teil des Zyklus „Die Bürgertugenden“ von Bildhauer Georg Herting) hängen nicht am ursprünglichen Platz. Sie stammen aus dem großen Festsaal. Sie wurden hierher umquartiert, als dieser Ende der 50er Jahre zum Ratssaal umgebaut wurde. Die vier größeren Reliefplatten sind damals zerschlagen worden (siehe dort).

ReliefPflügender Bauer

Geblieben sind von links nach rechts:

  • Herkules der Löwentöter mit dem Löwenfell über der Schulter, Sinnbild für Mut Tapferkeit und Kraft
  • Äskulap, der griechische Gott der Heilkunst mit Stab und Schlange als Verkörperung von Fürsorge und Hilfsbereitschaft
  • Pflügender Bauer (über ihm links Vogel mit Ähre im Schnabel) als Versinnbildlichung von Fleiß, Arbeit, Erfolg und Ernte
  • Krieger mit Schild und Speer als Symbol der Wehrhaftigkeit (alle Deutungen nach Professor Günther Kokkelink).

Die  Galerie-artigen Umgänge um die Zentralhalle lohnen einen Rundgang nicht nur wegen der vielfältigen wechselnden Ausblicke auf die wuchtige Kuppelarchitektur. Der Besucher stößt schon im Erdgeschoss auf Schritt und Tritt auf Original-Ausstattungsdetails aus der Bauzeit des Rathauses: kunstvoll gearbeitete Wand- und Deckenlampen, niedrige geschnitzte Eichentüren, die Schaltkästen verbergen, Reliefs, hölzerne Wartebänke vor den Amtszimmern. Reliefs stellen Jagd-, Kampf- und Sportszenen dar. Allegorisch stehen sie für menschliche Fähigkeiten wie Kraft, Ausdauer, Stärke oder Geschwindigkeit. Es ist typisch für die Vorstellungswelt der Rathaus-Erbauer, dass nicht moderne technische Errungenschaften des Industriezeitalters, sondern Szenerien aus der Zeichensprache der Antike als Sinnbilder verwendet werden.

Immer wieder fragen Rathausbesucher, was denn die holzgeschnitzten Signaturen „SH“ über den Pendeltüren zwischen Hallenumgang und Vorhalle zu bedeuten haben. Generationen von Bauforschern haben sich darüber schon den Kopf zerbrochen. Rathaus-Experte Klaus Dieckmann interpretiert die Buchstaben schlicht als Abkürzung von „Stadt Hannover“. Schelmen haben während der 34-jährigen  Amtszeit von Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg gern schmunzelnd erzählt, es handele sich um die Initialen des Stadtoberhaupts. Um es hier ganz klar zu sagen: Das ist eine Ente.   

Neue alte Pracht

Die Portale zu den Chefzimmern, zu den Prunk- und Sitzungssälen des ersten Obergeschosses sind durchweg mit rotem Marmor gefasst. Früher vorhandene üppige Kandelaber in den Wartezonen (vermutlich von Bildhauer Ludwig Vierthaler entworfen) sind allerdings späteren Stilbereinigungen zum Opfer gefallen.

Bei der großen Rathaus-Renovierung vor der Expo 2000  wurden die in der Nachkriegszeit schlicht übergestrichenen Wandverzierungen farblich neu gefasst. Die Kassettenleisten der Pseudo-Schlossarchitektur heben sich nun wieder gliedernd von den Wandflächen ab. Besonders liebevoll sind Architekten und Restauratoren im ersten und zweiten Obergeschoss vorgegangen. Dort wurden unter späteren Farbschichten Original-Ausmalungen entdeckt und teilweise wieder hergestellt. So hat es einmal überall auf den Emporen ausgesehen! Aufzüge und Gurtbögen sind mit Blumenmotiven gefasst.  Scheingirlanden und imitierte Stoffbespannungen vermitteln seitdem wieder einen Eindruck vom Dekorationsüberschwang der wilhelminischen Epoche. Und auch ein Hauch vom bürgerlichen Wohnstil der Zeit um 1900 schwingt mit. 

Wer hängt denn da? Die Ahnengalerie

Im Nordflur des ersten Obergeschosses, beiderseits der Dienstzimmer von Oberbürgermeister und erstem Stadtrat, blicken die Besucher der Geschichte ins Antlitz. Portraits bedeutender Kommunalpolitiker sind hier aufgereiht. Die Gemäldegalerie der Ahnen von links nach rechts:

Im Westflügel:

Gustav Bratke (1878-1953)

  • Christian Ulrich Grupen (1692 bis 1767), Rekord-Bürgermeister von 1725 bis zu seinem Tode 1767
  • Bernhard Hausmann (1784 bis 1873), Unternehmer, Politiker, Kunstsammler, Hauptinitiator bei der Gründung des Kunstvereins, Mitglied im Bürgervorsteherkollegium 1824 bis 1843
  • Gustav Fink (1854 bis 1933), Bürgermeister 1922 bis 1925, Ehrenbürger
  • Robert Leinert (1873 bis 1940), erster SPD-Oberbürgermeister 1918 bis 1925, Motor der Eingemeindung Lindens zum 1. Januar 1920
  • Arthur Menge (1884 bis 1965), Oberbürgermeister 1925 bis 1937. In seiner Amtszeit Bau des Maschsees und Erwerb der Herrenhäuser Gärten
  • Gustav Bratke (1878 bis 1952), SPD, Mann der ersten Stunde, 1945 erst Oberbürgermeister, nach der Trennung der Spitzenämter ab 1946 bis 1949 Oberstadtdirektor
  • Wilhelm Weber (1879 bis 1961), SPD, 1918 Mitglied des Soldatenrats, Mitglied im Bürgervorsteherkollegium, Oberbürgermeister 1946 bis 1956
  • August Holweg (1905 bis 19899, SPD-Vorsitzender in Hannover als Nachfolger von Kurt Schumacher, Oberbürgermeister 1956 bis 1972. In seiner Amtszeit Beginn des U-Bahn-Baus, Ehrenbürger

Im Ostflügel:

  • Karl Wiechert (1899 bis 1971), ab 1946 erst leitender Redakteur der Hannoverschen Presse, Mitglied des Rates, SPD-Fraktionschef, dann Oberstadtdirektor 1949 bis 1963
  • Georg Lindemann (1885 bis 1961), 1918 Mitglied des Soldatenrates, Bürgervorsteher, ab 1919 in der Weimarer Zeit einziger hauptamtlicher SPD-Senator, 1930 2. Bürgermeister, 1933 von den Nazis entlassen (Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums), 1945 Bürgermeister, ab 1947 bis zur Pensionierung Stadtdirektor
  • Heinrich Tramm (1854 bis 1932), Stadtdirektor 1891 bis 1918, Initiator und treibende Kraft des Rathaus-Neubaus, 1919 bis zum Tod 1932 Mitglied im Bürgervorsteherkollegium, führender Vertreter des bürgerlichen „Ordnungsblocks“, Gegenspieler Leinerts. 1916 zum Ehrenbürger ernannt.
  • Johann G. F. Haltenhoff (1836 bis 1891), Stadtoberhaupt (Stadtdirektor) 1878 bis 1891, in seiner Amtszeit Bau von Markthalle, E-Werk, Kestner-Museum.
  • Hermann Rasch (1810 bis 1882), 1854 bis 1878 Stadtdirektor, in seiner Amtsperiode kam es zur Annexion des Königreichs Hannover durch Preußen, zur Einweihung des neuen Hauptbahnhofs. Die polytechnische Schule stieg zur technischen Universität auf.
  • Wilhelm Rumann (1784 bis 1857), erst Polizeidirektor, dann 1824 erster Stadtdirektor der in diesem Jahr vereinigten Alt- und Neustadt Hannover. 1833 wegen seiner liberalen Haltung im Streit um das Staatsgrundgesetz seines Amtes enthoben und angeklagt, 1843 begnadigt und in den Ruhestand getreten.
  • Georg E. F. Hoppenstedt (1779 bis 1858), Stadtdirektor 1821 bis 1824, in seiner Amtszeit  Gründung der Sparkasse, Vorbereitung der Vereinigung von Alt- und Neustadt. 

 


Texte mit freundlicher Genehmigung von Michael Krische.