Geschichte und Geschichten

Vorgeschichte: Vom Alten zum Neuen Rathaus

Eine Stadt braucht ein Rathaus. Und eine Stadt, die rapide wächst, braucht ein größeres Rathaus. 

Altes Rathaus

Das erste Rathaus

So kam es, dass die Hannoveraner schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts an einen Neubau dachten. Der damalige Stadtdirektor Wilhelm Rumann fand, einer königlichen Haupt- und Residenzstadt gebühre ein repräsentativerer Verwaltungssitz. Zunächst wurde das mittelalterliche, auch früher schon mehrfach veränderte gotische "Alte" Rathaus am Marktplatz durch einen Anbau erweitert: Der Apothekenflügel an der Köbelingerstraße (ein Fachwerkgebäude auf Steinsockel)  fiel 1844. an seiner Stelle errichtete Rumanns Stadtbaumeister Heinrich Andreae zwischen 1845 und 1848 in oberitalienisch-romanischem Stil den so genannten "Dogenpalast".

Ja, Andreae und sein Stadtdirektor hätten das ehrwürdige Rathaus danach am liebsten ganz abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Der Entwurf, eine Mischung aus italienischer Romanik und Neugotik, lag  schon in der Schublade. doch in der Bürgerschaft und in der Fachwelt erhob sich ein Sturm der Entrüstung. Die Abrisspläne wurden fallen gelassen. Nach Plänen des einflussreichen Neugotikers und Begründers der Hannoverschen Architekturschule,  Conrad Wilhelm Haase, wurde das Gebäude um 1878 umfassend restauriert. Um 1890/91 vervollständigte Haase den Komplex um den Flügel an der heutigen Karmarschstraße. Sie war wenige Jahre zuvor als Verbindung zwischen der historischen Alt- und der boomenden neuen Innenstadt als Schneise quer durch den überkommenen Stadtgrundriss geschlagen worden. Nur Fachleute erkennen, dass jeweils ein paar Hundert Jahre die verschiedenen Bauteile trennen.

Das zweite Rathaus

Wangenheimpalais

Als noch um Abbruch oder Erhalt von Rathaus Nummer eins gerungen wurde, schwante den Stadtverantwortlichen schon, dass es nichts werden könnte mit dem repräsentativen Neubau am Markt. So suchte und fand Stadtdirektor Hermann Rasch ein Ausweichquartier in der Nähe: das frühere Wangenheimsche Palais am Friedrichswall. Der große Klassizist Georg Ludwig Laves (Opernhaus, Portikus des Leineschlosses, Planung für die "Ernst-August-Stadt" genannte neue Innenstadt rund ums heutige Kröpcke) hatte es 1828 bis 1831 ursprünglich für den Oberhofmarschall Graf Georg von Wangenheim errichtet. Danach wurde es Sitzuz der königlichen Familie.

Hannovers letzter König Georg V. war bereit, sich vom der Edel-Immoblie zu trennen und verkaufte sie 1862 an die Stadt. Aus dem "Neuen" oder "Residenz-Palais" wurde das erste "Neue Rathaus". Es blieb auch nach der Fertigstellung des heutigen (also genau genommen zweiten) Neuen Rathauses schräg gegenüber bis zur Ausbombung 1943 Sitz städtischer Dienststellen. Nach dem Wiederaufbau zunächst von der städtischen Bauverwaltung genutzt, wurde das Palais 1956 für das niedersächsische Ministerium für Wirtschaft und Verkehr umgebaut und erweitert. Das städtische Wappen im Giebelfeld zum Friedrichswall ist geblieben. Es wurde nach dem Krieg von der Ruine der Brückmühle hier her versetzt und ist nach dem Wangenheimschen, dem königlichen und dem im Krieg zerstörten ursprünglichen  städtischen nun schon das vierte Wappen an dieser Stelle. Sein Ersatz durch das Niedersachsenross, in welcher Version auch immer, ist nicht geplant.

Das dritte Rathaus

Doch zurück in die Zeit um 1890. Mit zahlreichen Eingemeindungen, rapidem Bevölkerungszuwachs, der rasch fortschreitenden Industrialisierung, dem Bau neuer Stadtviertel und einer leistungsfähigen Kanalisation  wuchs die Stadt in atemberaubendem Tempo über sich selbst hinaus. Und mit ihr wuchs die Verwaltung. Längst waren für ihre Dienststellen weitere Bürgerhäuser in der Altstadt angemietet worden. Für den seit 1891 amtierenden Stadtdirektor Heinrich Tramm stand fest: Ein neues "Neues Rathaus" muss her.

Daraufhin entbrannte zunächst ein heftiger Disput um den richtigen Standort. Stadtbaurat Georg Bokelberg hatte im Zuge einer geplanten Stadterweiterung nach Süden bereits die Aegidienmasch ins Auge gefasst. Doch die Nordstädter Bürgervereine plädierten mit Verve für ein Gelände zwischen Steintor und Klagesmarkt am alten Nikolaifriedhof. Hier, nordwestlich der historischen Altstadt, liege die Zukunft der städtischen Entwicklung Hannovers, glaubten die Verfechter dieser Idee.

Nun, Stadtdirektor Tramm, der ungekrönte "König von Hannover", setzte sich durch. Er verknüpfte auf der entscheidenden Sitzung der städtischen Collegien sogar sein Schicksal als Stadtoberhaupt mit der Rathausfrage – und er gewann. Am 15. März 1895 fiel im Wangenheimschen Palais der Beschluss zum Rathausneubau südlich der Friedrichstraße. Nebenbei wurde zugleich auch der Bauplatz für das geplante Provinzialmuseum festgelegt.

Der erste Wettbewerb

Am 13. August 1895 erschien in den Zeitungen das "Preisausschreiben zur Erlangung von Plänen für den Neubau eines Rathauses in Hannover". Beteiligen konnten sich Architekten aus dem Deutschen Reich und aus Österreich-Ungarn. Abgabetermin: 15. April 1896. Ausgesetzt waren Preise von 12 000, 8000, 6000 und 3000 Mark.

Am 28. Mai 1896 trat das Preisgericht im alten Provinzialmuseum, dem heutigen Künstlerhaus, zusammen. 53 Entwürfe waren eingereicht worden. Sechs von ihnen kamen schließlich in die engste Wahl. Die Schlussplatzierung sah dann so aus:

  1. Entwurf "Piano" von Professor Hubert Stier, Hannover, mit hohem Turm und starken Anklängen an das neugotische Rathaus in Hamburg.
  2. Entwurf "Labor" von Theodor Kösser (Leipzig), ebenfalls mit Rathaus-typischem Turm. Die gleichförmige Neo-Renaissance-Fassade schien der Jury nicht gelungen.
  3. Entwurf "Rathaus ohne Oberlicht" (Heinrich Seeling) zusammen mit dem Entwurf "Vereint" (Otto Schmidt, Chemnitz).
  4. Der Entwurf „Kleeblatt mit Stiel“ des Berliners Hermann Eggert (er wurde schließlich Sieger im zweiten Wettbewerb) kam nur auf Platz vier. Viel zu massiv sei der seitlich angesetzte Turm geraten, kritisierte die Jury. Eggert musste sich den vierten Platz sogar noch mit dem Entwurf des Konkurrenten Ludwig Klingenberg aus Oldenburg teilen.

Die Reaktionen auf die ausgezeichneten Arbeiten in Fachwelt und Öffentlichkeit waren gespalten. Vollends überzeugt hatte keiner der Entwürfe. Ihre Verfasser hatten sich irgendwo stilistisch unsicher zwischen traditioneller Neugotik und der in Mode gekommenen Neo-Renaissannce bewegt. Keiner der Entwürfe trage die Züge einer "künstlerisch großen That", schrieb der Hannoversche Anzeiger. Dessen Kritiker brachte dann das Stichwort ins Spiel, das schließlich die entscheidende Wende in der Diskussion um die Rathauspläne brachte. Er vertrat nämlich in einem Artikel die Ansicht, dass "in das in Aussicht genommene Terrain, in die Maschlandschaft, ein Kuppelbau gehört".

Der zweite Wettbewerb

Mehrere hannoversche Architekten, die der Jury angehört hatten, aber nicht Mitglieder in städtischen Gremien waren, plädierten für eine Kuppel. Keiner der gezeigten Entwürfe sei von der Qualität gewesen, dass man aus ihnen einen Bauauftrag hätte ableiten sollen. Am Schluss ihres Gutachtens empfahlen die unabhängigen Experten die Ausschreibung eines zweiten Wettbewerbs, "um ein befriedigendes Ergebnis zu bekommen".

Kuppel oder Turm? Diese Frage bewegte die Gemüter für ein weiteres halbes Jahr. Tramm, insoweit fortschrittlich, neigte der Kuppel zu und wurde zu ihrem vehementesten Fürsprecher. Unterstützung erhielt er vom wohl prominentesten Mitglied der Jury, dem Kaiserlich-königlichen Oberbaurat Professor Otto Wagner aus Wien. Er schrieb dem "hochlöblichen Magistrat", er würde sich freuen, wenn ihn eines Tages, wenn er "die so lieb gewonnene Stadt und ihre ausgezeichneten Vertreter wieder aufsuchen sollte, schon von der Ferne eine weithin leuchtende goldene Kuppel auf stolzem modernem Renaissancebau thronend, begrüßen würde".

Man muss nicht mehr lange raten, wer sich auch in diesem Konflikt durchsetzte. Heinrich Tramm bekam seinen Willen und Hannover damit das Rathaus, auf das es heute mit Recht so stolz ist.

Am 28. Dezember 1896 beschlossen Bürgervorsteherkollegium und Magistrat einen zweiten Rathauswettbewerb. eingeladen wurden nur die sechs ersten Preisträger der ersten Konkurrenz. Abgabetermin diesmal: der 31. Juli 1897. Die entscheidende Forderung in der Ausschreibung  war, den bau mit einer Kuppel zu bekrönen, "die aus dem Grundriss begründet und folgerichtig entwickelt sein muss".

Am 25. August 1897 stand der Sieger fest: Die Jury unter Vorsitz von Tramm entschied sich einstimmig für den neuen Entwurf von Hermann Eggert. Der Geheime Baurat aus Berlin überzeugte nicht nur durch die prächtige Kuppel. viele Details, zum Beispiel in der Fassadengliederung, hatte Eggert unter anderem dem ersten Siegerentwurf von Hubert Stier entlehnt. Das Preisgericht lobte auch die klaren Grundrisse und die strikte Einhaltung der Preisvorgabe von 4,5 Millionen Mark. Dass es nachher zehn Millionen wurden, steht auf einem anderen Blatt. Dem Mann wurde vertraut. schließlich hatte er so bedeutende Bauten wie den Kaiserpalast in Straßburg und den Frankfurter Hauptbahnhof geplant.

Also wurde der Vertrag geschlossen. 1899 kalkulierte die Baukommission schon mit einer Bausumme von 5,35 Millionen.  Am 30. Mai 1901 der erste Buchenpfahl gerammt. Am 30. Juni 1903 versammelten sich die städtischen Honoratioren in der Baugrube zur feierlichen Grundsteinlegung.


Texte mit freundlicher Genehmigung von Michael Krische.