Storchenreport 2022

Weißstörche in der Region Hannover

Storchenfamilie

Mehr als 20 Prozent mehr Brutpaare als im Vorjahr. Abschlussbericht von Dr. Reinhard Löhmer, Naturschutzbeauftragter für die Weißstorchbetreuung in der Region Hannover (Stand: 22. August 2022).

Vorbemerkung

Die Brutperiode der Störche in der Region Hannover erstreckt sich heute von Anfang Februar bis Ende August. Die ersten Jungstörche der laufenden Saison sind bereits Ende Juni ausgeflogen. Die Jungen der Spätbrüter sind gerade erst flügge geworden. Durch die Trockenheit sind in diesem Sommer die Nahrungsbedingungen grenzwertig. Die Folge ist, dass die Jungen zum Teil aber auch die Eltern schneller als sonst die Region Hannover verlassen haben. Zum Ende der Brutsaison hat es noch einige Ausfälle bei den Jungen gegeben, so dass die Daten von Mitte Juli geringfügig korrigiert werden mussten.

Verlauf der Brutsaison: Trend zum Nest im Baum

Das Storchenjahr 2022 begann mit der nochmals früheren Rückkehr der Westzieher (Zugroute über Gibraltar und die Sahara ins afrikanische Winterquartier). Schon im Februar waren sie nahezu vollzählig auf ihren Horsten. Die ersten Ostzieher (Zugroute über den Bosporus nach Mittel- und Südafrika) trafen ab Mitte März ein. Den ganzen April hindurch - mit einem Schwerpunkt am Ende des Monats - gab es weitere Paare, die brüten wollten. Unbesetzte Nester waren zu diesem Zeitpunkt „Mangelware“. Die brutwilligen Störche mussten auf bis dahin nie besetzten Nisthilfen Quartier nehmen oder aber sich selbst eine Bleibe suchen. In der Region Hannover hat es noch nie so viele Neugründungen gegeben, die ohne Hilfen gebaut worden sind. Auffällig dabei ist, dass der „Trend“ in die Bäume unvermindert anhält. In diesem Jahr haben mehr als 15 Prozent aller Paare in Bäumen gebrütet – weitgehend ohne Unterstützung durch den Menschen. Die baumbrütenden Störche haben sich als wahre Baumeister gezeigt. Für die Zukunft bedeutet dies, dass man es den Störchen überlassen sollte, wo und wie dicht sie zueinander siedeln wollen. Das ist der (biologisch) beste Weg in der weiteren Entwicklung des Bestandes. 

Im Vergleich zum Vorjahr gab es 27 neue Neststandorte!

Erwartungsgemäß machte sich in diesem Jahr der nachwuchsstarke Jahrgang 2019 (Mäusejahr!) erneut im Bestand bemerkbar. Anhand von Ring-Ablesungen konnte bestätigt werden, dass diese jetzt dreijährigen Störche inzwischen voll in die Brutpopulation integriert sind. Die frühen Westzieher sind ab Mitte März zur Brut schritten, die Nachzügler teilweise erst Anfang Mai.

Im Vergleich zum Vorjahr (103 besetzte Nester) gab es in diesem Jahr mit 130 Brutpaaren nochmals einen Zuwachs um mehr als 20 Prozent. So viele Störche hat es in der Region in historischer Zeit noch nie geben. 

Spitzenreiter sind die Stadtgebiete von Neustadt und Wunstorf mit jeweils 29 Brutpaaren. In Neustadt gab es noch Anfang August eine Nachmeldung aus Borstel (Brutpaar mit zwei Jungen). 
Der vor allem im letzten Jahrzehnt zu beobachtende Zuwachs ist schon erstaunlich und ist im Vergleich zu anderen Vogelarten ungewöhnlich. Er basiert im Wesentlichen auf der Zunahme der Westzieher. 

1988 ist der Tiefststand bei den Regionsstörchen mit nur neun Paaren dokumentiert. 
Auch bei der ersten landesweiten Erhebung des Brutbestandes im Jahre 1934 war der Bestand mit 55 Paaren deutlich niedriger.

•    Von den 130 Paaren haben 103 erfolgreich gebrütet. 
•    Sie haben insgesamt 219 Junge aufgezogen. 
•    27 Paare oder 20,8 Prozent aller Paare sind ohne Bruterfolg geblieben. 

Für die Entwicklung der Jungen war das „Aprilwetter“ bis Ende Mai deutlich zu kühl. Dazu fehlte der Regen bis zum Ende der Saison. Wenig Niederschlag bedeutet, dass die Eltern kaum die für die frühe Aufzucht so wichtigen Regenwürmer erbeuten konnten, niedrige Temperaturen bedeuten, dass es an (Groß-) Insekten fehlte. Es gab somit Engpässe in der Futterbeschaffung bzw. in der Versorgung der Jungen. Die Konstitution vieler Jungstörche war nicht optimal.
 
Die Anzahl der Paare ohne Junge ist mit gut 20 Prozent aller Paare vergleichsweise „unauffällig“. Auffällig ist dagegen, dass gut 20 Prozent aller Paare nur ein Junges und fast 32 Prozent lediglich zwei Junge aufgezogen haben. Diese Jungenzahlen spiegeln die Engpässe in der Versorgung wider. Immerhin gab es aber auch 27 Paare mit drei Jungen. Sechs Paare konnten sogar vier Junge aufziehen (Dachtmissen, Alt-Garbsen, Koldingen, Bokeloh/Nord, Idensen/Sigwardskirche, Steinhude/Ortsmitte). 

Bemerkenswert ist dabei der Bruterfolg der beiden „Oldies“ in Bokeloh. Der Storch ist jetzt 27 Jahre alt und seit 2001 Brutvogel auf dem Nest. Die Störchin stammt aus dem Elsass, brütet seit 16 Jahren in Bokeloh und ist inzwischen 23 Jahre alt.

Mit einem Bruterfolg von 1,68 Junge pro alle Paare liegt das Ergebnis im Bereich des langjährigen Mittels von ca. 1,8.

Ausblick

Die Ursachen für den anhaltenden „Boom“ im Bestand basieren vor allem auf Entwicklungen bei den Westziehern, denen inzwischen deutlich mehr als 60 Prozent aller Brutvögel in der Region zuzuordnen sind. Durch die Überwinterung im spanischen Raum, zum Teil auch schon in Mitteluropa sind ihre Zugwege kürzer geworden. Dadurch haben sich die Verluste auf den Zugwegen und im Winterquartier verringert. Folglich kommen mehr westziehende Störche in ihr Geburtsgebiet zurück.

Auffällig bleibt weiterhin, dass sich immer mehr jüngere, zweijährige Störche im Sommer im Brutgebiet aufhalten und auch schon brüten. Die Paare rücken näher zusammen, was sich insbesondere entlang des Leinetals zeigt. Die größere Siedlungsdichte erhöht dann aber auch die territoriale Konkurrenz und Aggression mit zum Teil heftigen Kämpfen. Diese können nicht durch ein zusätzliches Angebot an Nisthilfen „behoben“ werden, denn letztendlich bleibt die „Storchfähigkeit“ des Lebensraumes von entscheidender Bedeutung.
 

 

Veröffentlicht: 15. Juli 2022, aktualisiert: 30. August 2022