Ergonomie am Arbeitsplatz

Kamera erkennt ungesunde Bewegungen

Wissenschaftler des Instituts für Integrierte Produktion Hannover entwickeln eine Technologie zur Bewertung von Arbeitsabläufen in der Montage, bei dem die Arbeiter in Echtzeit Feedback erhalten.

Neues Forschungsprojekt: 3D-Kameras sollen Arbeitsabläufe in Echtzeit erfassen, unergonomische Bewegungen erkennen und Alternativen anbieten

"Achtung, diese Bewegung verursacht Rückenschmerzen" – so könnte ein digitaler Assistent in Zukunft warnen. Wissenschaftler vom Institut für Integrierte Produktion Hannover (IPH) entwickeln ein Kamerasystem, das Arbeitern bei der Montage über die Schulter schaut und auf unergonomische Bewegungen hinweist. Unternehmen können das System nutzen, um die Leistungsfähigkeit ihrer Arbeitskräfte dauerhaft zu erhalten. Für einen ersten Praxistest suchen die Wissenschaftler noch nach Partnerunternehmen.

3D-Kameras erfassen Bewegungsabläufe

Rückenschmerzen, Knieprobleme, Sehnenscheidenentzündungen: Falsche Bewegungen am Arbeitsplatz können auf Dauer krank machen. Um Arbeiter davor zu schützen, entwickeln Wissenschaftler aus Hannover derzeit eine Technologie zur Ergonomiebewertung: 3D-Kameras sollen Bewegungsabläufe erfassen und dabei helfen, ungesunde Körperhaltungen zu korrigieren.

Ergonomiebewertung in Echtzeit

Das Besondere: Die Ergonomiebewertung erfolgt in Echtzeit und basiert ausschließlich auf Kameradaten. Bisher ist es ziemlich aufwendig, Bewegungen im Fabrikalltag zu analysieren und zu bewerten. Die Arbeiter müssen dafür beispielsweise einen Ganzkörperanzug mit Markierungen tragen, damit der Computer die Position von Händen, Ellenbogen und Schultern erkennt. Das stört bei der Arbeit. Das neue System verzichtet gänzlich auf Marker sowie Sensoren und nutzt ausschließlich 3D-Kameras, um Körper und Hände zu erfassen.

Direkte Analyse und Bewertung

Zudem soll die neue Technologie Bewegungen direkt analysieren und bewerten. Auch das ist mit bisherigen Systemen nicht möglich: Sie können lediglich Videos erzeugen und verarbeiten. Um zu beurteilen, wie ergonomisch die Bewegungsabläufe sind, muss anschließend ein Experte die Aufnahmen auswerten. Das ist teuer für die Unternehmen und ungünstig für die Arbeiter, die dadurch tage- oder wochenlang auf Feedback warten müssen. Das neue Kamerasystem soll die Bewegungen automatisch analysieren – und zwar in Echtzeit. Dabei erkennt es nicht nur unergonomische Bewegungen, sondern bietet auch Alternativen an. So erhalten die Arbeiter direktes Feedback und können ungesunde Bewegungen sofort korrigieren.

Korrekte Bewegungsabläufe trainieren

Unternehmen können das System nutzen, um die Arbeitskraft ihrer Belegschaft dauerhaft zu erhalten. Korrekte Bewegungsabläufe lassen sich damit schon während der Einarbeitung trainieren und später immer wieder überprüfen. So bleiben die Mitarbeiter in der Montage länger fit, ermüden nicht so schnell und werden seltener krank – gerade in Zeiten des Fachkräftemangels wird dies für Unternehmen immer wichtiger.

Ergonomiebewertung auch für kleine und mittlere Unternehmen

Mit der neuen Technologie lohnt sich die Ergonomiebewertung auch für kleine und mittlere Unternehmen. Weil keine teure Sensorik nötig ist und die Experten-Auswertung entfällt, ist die Bewertung künftig schneller und günstiger möglich. Zudem genügt ein einziges Kamerasystem, um sämtliche Arbeitsplätze in der Montage zu bewerten. Die Wissenschaftler vom IPH entwickeln ein mobiles System. Sobald sich ein Mitarbeiter die richtigen Bewegungsabläufe angewöhnt hat, können die Kameras wieder abgebaut und an einem anderen Montage-Arbeitsplatz genutzt werden.

Zusammenarbeit mit Leibniz Universität

Im Forschungsprojekt "WorkCam – Echtzeitfähige und kamerabasierte Ergonomiebewertung und Maßnahmenableitung in der Montage" arbeitet das IPH mit dem Institut für Fabrikanlagen und Logistik (IFA) der Leibniz Universität Hannover zusammen. Während sich die Wissenschaftler am IFA auf die Ergonomiebewertung konzentrieren, ist das IPH für die Entwicklung des Kamerasystems und die Auswertung der 3D-Daten verantwortlich. Das Projekt ist zum 1. April 2017 gestartet und läuft bis Ende März 2019 – bis dahin wollen die Wissenschaftler einen Prototyp des Kamerasystems entwickeln und bei Partnerunternehmen testen.

Praxistest für Unternehmen

Unternehmen, die sich für die Ergonomiebewertung interessieren und das System in der Praxis testen wollen, können sich noch am Projekt beteiligen. Ansprechpartner ist Sebastian Brede, zu erreichen ist er unter der Telefonnummer +49 511 27976-225 oder per E-Mail an brede@iph-hannover.de. Weitere Informationen sind unter www.workcam.iph-hannover.de zu finden.

Über das IPH

Das Institut für Integrierte Produktion Hannover (IPH) gemeinnützige GmbH forscht und entwickelt auf dem Gebiet der Produktionstechnik. Gegründet wurde das Unternehmen 1988 aus der Leibniz Universität Hannover heraus. Das IPH bietet Forschung und Entwicklung, Beratung und Qualifizierung rund um die Themen Prozesstechnik, Produktionsautomatisierung, Logistik und XXL-Produkte. Zu seinen Kunden zählen Unternehmen aus den Branchen Werkzeug- und Formenbau, Maschinen- und Anlagenbau, Luft- und Raumfahrt und der Automobil-, Elektro- und Schmiedeindustrie.

(Veröffentlicht: 25. April 2017)