Im Pavillon startet ein spannendes Experiment: die Entwicklung einer "Künstlichen Intelligenz" – Ausgang: ungewiss ...
Nach der Corona bedingten Verschiebung beginnt Ende September 2020 ein neues soziokulturelles Projekt des Kulturzentrums Pavillon an der Schnittstelle zwischen Soziokultur und Digitalem: In den folgenden Monaten soll menschliches Denken über Geschlecht und Geschlechterverhältnisse als Lernstoff für einen selbstlernenden Algorithmus gesammelt und aufbereitet werden.
Geschlechterverhältnisse & KI: Fragen, die das Projekt antrieben
Wie unterscheidet sich eigentlich menschliches Bewusstsein von den Ergebnissen maschinellen Lernens? Eine auf den ersten Blick vielleicht abwegig erscheinende Frage. Aber: Sind die Bilder in unseren Köpfen, unser Denken und unsere Meinungen denn viel mehr als die Collage aller von uns aufgenommenen Informationen? Sind Kultur, Ethik und Erziehung qualitativ etwas anderes als eine Programmierung, nach der wir entscheiden, welche Informationen wertvoll, welche vernachlässigbar sind? Sind wir wirklich vorurteilsfreier als ein Roboter? Und was ist eigentlich "Bewusstsein"?
Diese Fragen wollen die Veranstalter am Beispiel der Geschlechterverhältnisse diskutieren. Inwieweit Geschlecht sozial, kulturell oder biologisch bedingt ist, ist ein womöglich ewiges Streitthema, über die Wissenschaft hinaus.Das Agieren eines Algorithmus in Bezug auf Geschlecht bezieht sich auf Daten, die dem alltäglichen gesellschaftlichen Leben entspringen und ist somit Ausdruck und Spiegel der Verhältnisse und kann diese verstärken. Aber kann Künstliche Intelligenz (KI) sie auch verändern? Ist Denken über Geschlecht Verhandlungssache? Kann KI dabei helfen, Vorurteile und festgefahrenen Denkweisen zu reflektieren und aufzuheben? Müssen wir nur anders programmiert werden?
Der "intelligente" Chatbot: die Methode des Projekts
In einer Vielzahl von Diskussionsveranstaltungen mit Experten und Akteuren zu den verschiedensten Aspekten der Geschlechterverhältnisse – von Erziehung bis Haushalt, von Wirtschaft bis Sexualität – werden Chatprotokolle der Teilnehmer anlegt, die einem selbstlernenden Algorithmus als Trainingsmaterial dienen. Unter der Ägide des Instituts für Informationsverarbeitung der Leibniz Universität Hannover "bildet" sich dieser Algorithmus namens A'n'A grammatikalisch, orthographisch, stilistisch und inhaltlich an den von uns erzeugten Daten – menschlicher Rede über die Geschlechterverhältnisse. Mit jedem neuen Datenset erweitert sich "sein" Repertoire, wird er durch Kombination von Versatzstücken fähiger, "kreativ" zu agieren und den Eindruck von Intuition zu erwecken. Programmiert auf Texterkennung und Textproduktion entsteht so ein "intelligenter" Chatbot zum Themenkomplex der Geschlechterverhältnisse.
Der Turing-Test: Ziel des Projekts
Ziel des Projektes ist die Anwendung des so genannten Turing-Tests in soziokulturellen Settings, vor allem im Bereich der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung um die Geschlechterverhältnisse. Alan Turing (1912-1954) entwickelte bereits in den 1940er und 1950er Jahren diejenigen mathematischen Konzepte, aus denen die heute verwendeten selbstlernenden Algorithmen hervorgingen. Der auf das Jahr 1950 zurückgehende Turing-Test stellt eine Testperson in eine Unterhaltung mit einem Menschen und einer Maschine. Kann die Testperson die Antworten nicht klar zuordnen, hat die Maschine als "Künstliche Intelligenz" den Test bestanden.
Alan Turing wurde aufgrund seiner Homosexualität 1952 zur chemischen Zwangskastration verurteilt. Die daraus resultierenden hormonellen Probleme verursachten schwere Depressionen, die ihn 1954 wohl in den Suizid trieben. Wir fragen: Was haben wir Alan Turings Lebenswerk alles zu verdanken? Was hat sich daraus entwickelt? Und wie entwickelt(e) sich der gesellschaftliche Umgang mit Geschlecht, an dem Alan Turin seiner Zeit zu Grund ging? Welche Rolle spielt KI für die heutigen Geschlechterverhältnisse, welche kann sie zukünftig noch spielen, welche sollte sie spielen?
Kooperationen und Förderung
Der "intelligente" Chatbot A'n'A wird als Open Source Tool entwickelt und steht sowohl Forschungseinrichtungen als auch künstlerischen Gruppen wie Akteuren der kulturellen und politischen Bildung zur Verfügung, um hiermit eigene Inhalte zu verwirklichen. Das Projekt wird künstlerisch begleitet durch die interaktiven Performance Projekte Unbias des Theaterkollektivs OutOfTheBox sowie reconstruct: Alan Turing des Theaterkollektivs Büro für Eskapismus.
In Zusammenarbeit mit dem Institut für Informationsverarbeitung der Leibniz-Universität Hannover.