150. Geburtstag von Theodor Lessing

Theodor Lessing und Albert Einstein

Zum 150. Geburtstag von Theodor Lessing (*8. Februar 1872 in Hannover – †31. August 1933 in Marienbad) gibt Dr. Wolf-Dieter Mechler Einblicke in die Exil-Bekanntschaft von Einstein und Lessing sowie die Idee zur Gründung einer "Flüchtlings-Universität".

Lessing und Einstein fliehen

Am 1. März 1933, am Tag nach dem Reichstagbrand,  flieht Theodor Lessing aus Hannover ins Exil nach Prag, begleitet von seiner Tochter Ruth. Der jüdische Philosoph und Publizist entkommt so um Haaresbreite einem nationalsozialistischen Mob, der noch am selben Tag das Haus der Familie in Hannover-Anderten verwüstet.

Lessing zählte zu den von den Nazis und der nationalen Rechten in Deutschland meistgehassten Personen, seitdem er vor der Reichspräsidentenwahl 1925 in einem Zeitungsartikel den Kandidaten Hindenburg als ein Zéro, hinter dem sich ein künftiger Nero verberge, charakterisiert hatte. Es folgte ein bis dahin beispielloser Entrüstungssturm mit persönlichen Angriffen, der zu Lessings erzwungenen Abschied von der Technischen Hochschule Hannover führte.

Ein noch größeres Hassobjekt für die Nazis stellte der Nobelpreisträger Albert Einstein dar, der sich für die Aussöhnung mit Frankreich eingesetzt hatte und dessen physikalische Erkenntnisse als "undeutsch" verachtet wurden. Einstein kehrte von einer Auslandsreise 1933 nicht wieder nach NS-Deutschland zurück und betrat bis zu seinem Tod 1955 nie wieder deutschen Boden. Am 11. März 1933 erklärte er sich so: "Solange mir eine Möglichkeit offen steht, werde ich mich nur in einem Lande aufhalten, in dem politische Freiheit, Toleranz und Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz herrschen. Diese Bedingungen sind gegenwärtig in Deutschland nicht erfüllt."

Kontakt zwischen Lessing und Einstein

Die beiden jüdischen Intellektuellen, Lessing und Einstein, sind sich niemals persönlich begegnet, haben aber bei vielfältigen politischen und gesellschaftlichen Anlässen ähnliche politische Ansichten vertreten. Sie lehnten den 1.Weltkrieg ab, engagierten sich für die Volkshochschulidee und traten vielfach für Verfolgte und ungerecht behandelte Menschen ein. So fühlt sich Lessing ermutigt, mit Einstein Kontakt aufzunehmen.

Am 12. April 1933 bittet Lessing, inzwischen in Marienbad angekommen, Einstein per Brief um Hilfe, ihm bei der Suche nach einer Professur in Spanien (oder anderswo) behilflich zu sein. Zu dieser Zeit lebt Einstein im belgischen Badeort Le Coq-sur-Mer.

Elsa und Albert Einstein posieren vor der Villa Savoyarde im Belgischen Badeort Le Coq-sur-mer, die ihnen von Ende März 1933 an als erste Station im Exil diente. Die als Postkarte zu verwendende Fotografie verschickte Elsa im April an eine Freundin.

Einstein antwortet noch im April 1933, muss aber leider Lessings Hoffnungen dämpfen, weil seine Verbindungen nach Spanien keinesfalls von solcher Qualität seien, um Lessing dort eine Anstellung verschaffen zu können. Im Gegenzug bietet er aber an, als Referenz zur Verfügung zu stehen, für den Fall, dass Lessing selbst eine Arbeitsgelegenheit ausfindig machen sollte. Einstein kann aber auch seinerseits ein Angebot unterbreiten, sich an einer neu zu gründenden "Flüchtlings-Universität" zu beteiligen. Der geplante Standort solle in England liegen und Lessing sogar weitere Emigranten zur Mitarbeit gewinnen.

Anfang Mai 1933 schreibt Lessing zurück, dass er "durchweg befriedigt" sei von dem Plan, "eine zweite jüdische Universität zu gründen" (neben der Hebräischen Universität in Jerusalem) und schließt mit seiner Bereitschaft, an dem Projekt mitzuwirken: "verfügen Sie bitte bei der Ausführung Ihres großen Gedankens auch über meine Person".

Lessings Wirken im Exil

Lessing erfährt vermutlich aus der Presse vom Scheitern des Projekts Flüchtlings-Universität und will nun in der Tschechoslowakei bleiben. Mit seiner Frau Ada, die im März 1933 als Geschäftsführerin der Volkshochschule Hannover entlassen worden und ihm im Juli ins Exil nachgefolgt war, plant er ein Landerziehungsheim für Kinder anderer Emigranten in Marienbad zu eröffnen. 

Lessing bleibt auch im Exil eine öffentlich wirkende Person. Er spricht auf Veranstaltungen über die Lage der Juden in Deutschland, schreibt scharfsichtige Artikel über Wesen und politische Strategie des Nationalsozialismus und besucht Ende August den in Prag stattfindenden Internationalen Zionistischen Kongress.

Theodor Lessing als Teilnehmer am XVIII. Zionisten-Kongress Ende August 1933 in Prag. Letzte bekannte Aufnahme vor der Ermordung.

Attentat im August 1933

Nachdem im Juni 1933 in mehreren deutschsprachigen Zeitungen ein Artikel erschienen war, in dem behauptet wurde, dass eine Kopfprämie von 80.000 RM für denjenigen ausgesetzt sei, "der Prof. Dr. Lessing lebend nach Deutschland bringt", beschließen zwei sudetendeutsche Nationalsozialisten, Lessing zu töten und sich mit dieser Tat das Geld zu verdienen. Als Lessing am 30. August 1933 vom Zionistenkongress wieder in Marienbad ankommt, wird er durch zwei Schüsse so schwer verletzt, dass er noch in der Nacht verstirbt.

Das Attentat bleibt nicht ohne Wirkung auf die zahlreichen Emigranten im nichtnazistischen Europa. Einstein nimmt sich die Ermordung seines Korrespondenzpartners so zu Herzen, dass er noch im September in das sichere England weiterreist.

Albert Einstein unterstützt nach Lessings Ermordung die Publikation von dessen Lebenserinnerungen "Einmal und nie wieder" in Prag 1935.  

Dr. Wolf-Dieter Mechler, Hannover
 

Ada-und-Theodor-Lessing-Volkshochschule

Die Homepage der VHS Hannover mit Kurssuche, aktuellem Programm und Anmeldemöglichkeit: www.vhs-hannover.de

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