Widerstandsfähige neue Bäume

Stadt beginnt mit der diesjährigen Samenernte

Ein Großteil der rund 1.000 neuen Bäume, die der städtische Fachbereich Umwelt und Stadtgrün jedes Jahr in Parks, Grünzügen und an den Straßen Hannovers pflanzt, stammt unmittelbar von den „besten“ und ältesten Bäumen im Stadtgebiet ab. Jedes Jahr im September ernten Mitarbeiter*innen der städtischen Baumschule kiloweise Eicheln, Wildäpfel, Vogelbeeren und Co. an besonders wuchskräftigen Exemplaren. So auch im September 2022.

Aus den Früchten werden in mehreren Arbeitsgängen die Samen gewonnen. Diese werden zum Keimen gebracht und wachsen schließlich auf dem Gelände der Baumschule in Bothfeld zu kleinen Bäumchen heran. 

Diese Praxis in Hannover ist außergewöhnlich. Denn in der Regel kaufen Kommunen ihre Jungbäume von großen Baumschulen ein, die nicht unbedingt in der Nähe liegen. Die eigene Anzucht vom Samensammeln vor Ort bis zu Keimung ist aufwändig, hat aber einen entscheidenden Vorteil: Die jungen Bäume aus sogenanntem "gebietsheimischen" Saatgut sind ideal an den Boden und die Witterungsbedingungen in Hannover angepasst. Sie wachsen besser an, sind kräftiger, widerstandsfähiger und langlebiger.

Nur Früchte ausgewählter „Mutterbäume“ im Stadtgebiet 

Die Samen der Bäume stecken in ihren Früchten. Wenn diese ab Ende August reif sind, machen sich die Mitarbeiter*innen der städtischen Baumschule ans Ernten. Gesammelt werden die Früchte von „gebietsheimischen“ Arten im Stadtgebiet: Eicheln, Hagebutten, Wildäpfel und -birnen, Haselnüsse, die geflügelten Samen von Ahorn und Hainbuche, vor allem aber kleine Beeren wie Vogelbeeren, Holunderbeeren, Beeren von Schlehe, Weißdorn, Kornelkirsche, Faulbaum und Schneeball.

Die gesammelten Früchte müssen zunächst gereinigt und dann zerkleinert werden.

Gebietsheimisch sind Gehölze, die sich über einen langen Zeitraum und viele Generationen hier vor Ort vermehrt haben. Es handelt sich also um Pflanzen, die in natürlicher Weise in Hannover wachsen, ohne händisches Einsetzen oder Züchtung. Diese Gewächse haben sich optimal an die regionalen Bedingungen angepasst. 

Die Erntebäume sind dabei nicht beliebig: Gesammelt wird nur an Mutterbäumen im Stadtgebiet, die einen besonders hohen „Pflückwert“ haben. Grundlage dafür ist ein detailliertes Gutachten aus dem Jahr 2006. Darin wurden besonders wuchskräftige, gesunde und langlebige Bäume im Stadtgebiet identifiziert.
Zu diesen Mutterbäumen mit besonders hohem Pflückwert gehört zum Beispiel die sogenannte „1000-jährige Eiche“ im Tiergarten (in Wirklichkeit ist dieser Baum etwa 350 Jahre alt). Sehr alte Bäume haben bewiesen, dass sie mit den Bedingungen vor Ort gut zurechtkommen. Weitere Sammelgebiete liegen unter anderem am Kronsberg, am Benther Berg, im Misburger Wald oder im Wiehbergpark. 

Von „Marmelade“ zu „Goldnuggets“ – das Handwerk der Samengewinnung 

In der städtischen Baumschule in Bothfeld werden die gesammelten Früchte zunächst gereinigt und dann zerkleinert: Große, per Hand betriebene Obstmühlen häckseln Wildäpfel, Beeren, Hagebutten und Co. jeweils so lange, bis ein Fruchtbrei entsteht. Nach und nach kommt Wasser hinzu, damit es nicht zu sehr klebt. „Ein bisschen ist das wie Marmelade kochen“ sagt Casiano Puga-Dominguez, Leiter der städtischen Baumschule. 
Der nächste Arbeitsschritt ähnelt dann dem Sieben von Goldnuggets: Die Kerne oder Samen müssen vom Fruchtfleisch getrennt werden. Wenn der Fruchtbrei nach ein paar Tagen etwas fester geworden ist, wird er über ein großes Sieb gestrichen. Je nach Samengröße fallen diese durch das Sieb oder bleiben auf dem Sieb liegen. 

Keimung in der Kältekammer

Die meisten Samen haben eine sogenannte „Keimhemmung“: Sie keimen erst nach einem gewissen Zeitraum. Zur Beschleunigung der Keimung werden die gewonnenen Samen abwechselnd mit Sand in Eimer geschichtet, gerührt und mit Wasser befeuchtet. Dieser Prozess heißt „Stratifizieren“. In einer Kältekammer werden die Sand-Samen-Behälter bei 1 Grad Celsius und 94 Prozent Luftfeuchte bis zum nächsten Frühjahr gelagert, immer wieder befeuchtet und gerührt. Unter diesen Bedingungen entsteht kein Schimmel. Bei einigen Arten wie Weißdorn, Rosen oder Hainbuche ist die Keimhemmung schwieriger zu überwinden. Diese Samen lagern deshalb zunächst einige Monate in einem Wärmeraum bei 20 bis 25 Grad Celsius, bevor sie in die Kältekammer kommen. Im folgenden Frühjahr können die gekeimten Samen auf dem Gelände der Baumschule in Bothfeld ausgesät werden. Minieichen, Kleinstrosen und winzige Feldahornbäumchen stecken dann in Reihen die ersten Zweige aus dem Boden. Etwa 13 Jahre bleiben sie in der Baumschule, bevor die Jungbäume im Stadtgebiet angepflanzt werden. Dabei werden sie immer wieder „verschult“ – das heißt an einen anderen Standort versetzt. Das fördert die Ausbildung der feinen Faserwurzeln, über die die Bäume Wasser und Nährstoffe aufnehmen. 

Casiano Puga-Dominguez beim Vorbereiten der Kerne und Samen.

Klimaangepasste Bäume für die Straße

Die in der Baumschule gezogenen Jungbäume aus gebietsheimischem Saatgut pflanzen die Fachleute vor allem in den großräumigen Grünzügen und Landschaftsschutzgebieten der Stadt. Auch angesichts zunehmender Trockenheit und Wetterextreme kommen diese Arten hier noch relativ gut zurecht.  
Anders ist es in den Straßen der Stadt: Hier herrschen nicht mehr die natürlichen Bedingungen, an die die gebietsheimischen Bäume angepasst sind. Die Straßenbäume haben kaum Platz und karge Bodenbedingungen, manchmal gar keinen Mutterboden. Durch Flächenversiegelung und Reflektion an Gebäuden sind die Temperaturen und die Sonneneinwirkung höher als in der freien Landschaft. Straßenbäume werden deshalb auch dazugekauft. Zunehmen sind darunter auch sogenannte „Klimabäume“ wie Zerreiche, Amberbaum und Silberlinde. Diese Arten stammen aus trockeneren Gebieten, zum Beispiel vom Balkan oder aus Vorderasien, und sind somit besser an Wasserknappheit und Extrembedingungen angepasst als unsere gebietsheimischen Arten. „Derzeit wird hier viel geforscht und in Zukunft werden wir weiter experimentieren müssen“, so Puga-Dominguez. 

Hintergrund: Städtische Baumschule in Bothfeld

Die städtische Baumschule besteht schon sehr viel länger als die hannoversche Grünflächenverwaltung. Ihre Wurzeln liegen im 18. Jahrhundert: 1767 wurde in Hannover-Herrenhausen die „Königliche Plantage“ als Landesbaumschule eingerichtet. Sie gehörte zu den frühesten Institutionen dieser Art. Seit 1977 ist die städtische Baumschule neben der Stadtgärtnerei auf dem heutigen Gelände in Hannover-Bothfeld untergebracht. Hinzu kommen weitere Flächen in Altwarmbüchen.   

Etwa 13 Jahre bleiben die Jungbäume in der Baumschule.

Rund 1000 Jungbäume pro Saison liefert die städtische Baumschule aus. Etwa 13 bis 16 Jahre alt sind die Bäume, wenn sie im Stadtgebiet an ihren festen Standort kommen. Der Stammumfang in einem Meter Höhe beträgt in der Regel 20 bis 25 Zentimeter.

Seit 1996 betreibt die städtische Baumschule die Anzucht aus gebietsheimischem Saatgut. Grund dafür waren auch Erkenntnisse aus der Forstwirtschaft: Damals hatten Fachleute man festgestellt, dass das Waldsterben in den 1980er-Jahren nicht allein auf äußere Einflüsse wie „Sauren Regen“ zurückzuführen war. Vielmehr fehlte den Bäumen auch die notwendige Widerstandsfähigkeit, um die ungünstigen Einflüsse abpuffern oder aushalten zu können. Viele der Bäume waren nicht vor Ort gewachsen, sondern aus anderen Regionen eingekauft und in Monokulturen gepflanzt worden.