Vielleicht ist es ja nicht umsonst, dass wir zwei Ohren und lediglich einen Mund haben!

Über „Sprechen & Zuhören“ anlässlich des 31. Kirchentages in der Stadtbibliothek Hannover

Veranstaltung: Mutig und stark – wann fühlst du das?

„Mutig – stark – beherzt“ ist das bewusst gewählte Motto des evangelischen Kirchentags in Hannover, der vom 30. April bis 4. Mai 2025 in der niedersächsischen Landeshauptstadt gefeiert wurde. Das Motto - und v.a. der Kirchentag selbst - möchte bei Besucher*innen eine Haltung stärken, die sich als innere Stärke, Zivilcourage, Zuwendung und Durchhaltevermögen beschreiben lässt. „Der Kirchentag ruft damit auf“, so erläuterte die frühere thüringische Umweltministerin und Kirchentagspräsidentin Anja Siegesmund, „Mut-Botschafterinnen und Mut-Botschafter zu sein. Es geht darum, trotz aller Krisen an den Problemen dranzubleiben und Lösungen zu suchen.

In einer zunehmend polarisierten Gesellschaft ins Gespräch kommen war auf vielen Podien des Kirchentags Thema, und in vielen Gesprächen auf den Plätzen. Die Bereitschaft, neue, andere Wege zu finden, ohne unbedingt einer Meinung zu sein, ist greifbar – das Format ‚Sprechen und Zuhören‘ bietet hier eine gute Möglichkeit.

Zwei von den über 1.500 Veranstaltungen an rund 100 Veranstaltungsorten – von Abendgebeten in Kirchen am Stadtrand bis zu Großkonzerten in der Innenstadt, mit geschätzt 150.000 Besucher*innen pro Tag – haben in der Stadtbibliothek Hannover stattgefunden und das Motto des Kirchentages umgesetzt. Mit „Sprechen & Zuhören“ kam in Kooperation mit Mehr Demokratie e.V. ein bereits vielfach eingesetztes Format zum Einsatz, das moderierte Gespräche zwischen Bürger*innen zu gesellschaftlich relevanten Themen ermöglicht.[1] Durch klar festgelegte Gesprächsregeln wird ein respektvoller Austausch geschaffen, der Raum für Reflexion und unterschiedliche Perspektiven eröffnet. Das Format eignet sich besonders für Themen, bei denen Offenheit und Vertrauen wichtig sind. „Sprechen & Zuhören“ ist flexibel einsetzbar und ermöglicht es, persönliche Sichtweisen zu teilen. Es fördert Demokratiekompetenz, empathisches Zuhören und den respektvollen Umgang mit unterschiedlichen Meinungen, ist aber – bewusst – auch ein Format mit klaren Regeln und klarer Struktur:

  • Sprechende Personen: In Ich-Form von sich selbst sprechen, persönliche Erfahrungen und Empfindungen einbringen. Schweigen ist okay.
  • Zuhörende Personen: Keine Rückfragen oder Unterbrechungen. Achtsames Zuhören und Selbstbeobachtung.
  • Für alle gilt: Vertraulichkeit ist oberstes Gebot.

Die Struktur ist immer ähnlich: nach einer begrüßenden Einführung verknüpft mit einer Erläuterung des Formats starten die Gesprächsrunden: Gruppen von drei bis vier Personen sprechen jeweils vier Minuten zu einer vorgegebenen Frage. Keine Unterbrechungen oder Bewertungen sind erlaubt. Die Runden werden dreimal wiederholt, um vertiefte Reflexion zu ermöglichen, hier wird dann auch immer die zugrunde liegende Fragestellung paraphrasiert und es gibt an geeigneter Stelle bewusst auch die ein oder andere Minute, schweigend über das Gehörte und das Selbst-Gesagte noch einmal nachzudenken. So entstehen Resonanzräume, wie eine Teilnehmerin in der Abschluss- und Feedbackrunde treffend bemerkte:

„Beim Zuhören und Stillsein entsteht, ein Raum, der noch besonderer wird, wenn dann auch noch jemand schweigt. Die Erlaubnis, so einen Raum mit Unbekannten gemeinsam zu kreieren und erleben zu dürfen, das ist etwas Besonderes – vor allem, weil keine Bewertung stattfindet“.

Die beiden Veranstaltungen in der Stadtbibliothek Hannover haben mit den Fragen „Mutig und stark – wann fühlst du das?“ und „Beherzt (im Alltag) unterwegs – was heißt das für dich?“ gezielt persönliche Erfahrungen und Werte in den Mittelpunkt gestellt. Die Teilnehmenden wurden eingeladen, ihre Gedanken und Gefühle zu teilen und zuzuhören: Welche Herausforderungen erfordern besonderen Mut, welche Situationen besondere Stärke? Was bedeutet es, ‚beherzt‘ im Alltag zu handeln? Welche Werte leiten uns dabei?

Das konzentrierte Murmeln während der verschiedenen Runden an den beiden Tagen, das von der Eingangsebene der Stadtbibliothek durch den Lichthof in die gesamte Bibliothek drang – immer nur unterbrochen von einer meditativen Klangschale und kurzen Zwischenmoderation, steht stellvertretend für das, was das Format ‚Sprechen und Zuhören‘ ausmacht: Es zeigt, wie es wirkt, wenn Menschen sich aufeinander einlassen, einander zuhören und wie es ist, wenn man selbst die Chance hat, vier Minuten über sich und eine Fragestellung dreimal hintereinander laut denken zu dürfen.

Insgesamt haben über 40 Teilnehmende an den beiden Veranstaltungen gesprochen und zugehört, und dass sind einige der Feedbacks zum Format:

Ich kann sonst so schlecht zuhören, werde schnell hibbelig und will reagieren, in dem Format ging Zuhören super einfach.

Es war überraschend, wie herausfordernd es war, in der kurzen Zeit die eigenen Gedanken zu strukturieren. Das war aber auch voll erfrischend.

Da keine Rückfragen erlaubt waren und keine Einwürfe kamen – wie man es sonst so in Debatten kennt – ist das Format so öffnend.

Aus einem ersten Bild über eine mir unbekannte ist eine tatsächliche, eine ganze Person geworden. So ist einer sehr kurzen Zeit aus einer kleinen Berührung eine warme Verbindung entstanden.

Anfangs war ich voll aufgeregt. Jetzt, am Ende, bin ich entspannt und mit einem guten Gefühl hier.

Das Format hat eine überraschende Dynamik im Miteinander.

Die dreimal vier Minuten sind so super wertvoll, um den andern zu verstehen, zu interpretieren und zu um den anderen zu verstehen & mich zuhörend einzufühlen. Mit den drei Runden merkt man sehr, wie man immer tiefer bei sich selbst und mit den anderen ins Thema kommt.

Der Unterschied zu Gesprächen mit direktem Feedback beziehungsweise Mails oder Briefe, auf die keine zeitnahe Antwort kommt, ist spannend und sicher für jede*n anders.

 

Warum Bibliotheken sich für Sprechen und Zuhören so gut eignen!

Bibliotheken nehmen in unserer Gesellschaft eine besondere Rolle als öffentliche, vorpolitische aber parteipolitisch neutrale Räume des Austauschs und der Wissensvermittlung wahr, sie sind ein echter Ort der Begegnung. Als Basiseinrichtungen für Kultur und Bildung erreichen sie eine bemerkenswerte Breitenwirkung – nicht nur hinsichtlich der quantitativen Nutzer*innenzahlen, sondern auch bezüglich der vielfältigen demografischen Zusammensetzung ihrer Besucher*innenschaft, die verschiedenste Generationen, Herkünfte und soziale Hintergründe umfasst. In einem kontinuierlichen Entwicklungsprozess haben Bibliotheken über die Jahre erfolgreich daran gearbeitet, sich zu sogenannten „dritten Orten“ zu transformieren. Diese bewusst gestalteten Lebensräume laden zum Verweilen ein – sei es für einen kurzen Moment oder einen ganzen Tag. Sie positionieren sich damit bewusst zwischen dem privaten Zuhause (dem „ersten Ort“) und der Arbeits- oder Ausbildungswelt (dem „zweiten Ort“). Durch ihre einladende Atmosphäre und die besonderen Rahmenbedingungen, die Bibliotheken schaffen, entsteht eine Umgebung, in der sich Besucher*innen unabhängig von ihrem sozialen Status oder Hintergrund willkommen und wohlfühlen können. Als solche „dritte Orte“ bieten sie niederschwelligen Zugang für alle Einwohner*innen und genießen ein hohes Vertrauen in der Bevölkerung. Diese Eigenschaften machen Bibliotheken zu idealen Plätzen, um demokratische Dialogformate anzubieten. In einer Zeit zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung und der Verbreitung von Desinformation gewinnt die Schaffung von Räumen für konstruktiven Austausch besondere Bedeutung. Bereits das UNESCO-Manifest für Öffentliche Bibliotheken betont, dass konstruktive Teilhabe und demokratische Entwicklung auf Bildung und freiem Zugang zu Information beruhen – ein Kernauftrag der Bibliotheken. Indem Bibliotheken also nicht nur Medien bereitstellen, sondern aktiven Dialog ermöglichen, leisten sie einen konkreten und direkten Beitrag zur Demokratiebildung vor Ort.

So haben mehr als erwartete viele kleinere Bibliotheken an bundesweiten Programmen wie „Land.schafft.Demokratie”[1] teilgenommen oder sich dafür beworben. Dies zeigt ebenso wie die breite Resonanz auf die letzten niedersächsischen Bibliothekstag 2024 unter dem Titel ‚Raum geben‘,[2] das Interesse und Potenzial, solche Dialogräume in städtischen wie ländlichen Regionen zu etablieren. Mit Blick auf die kommenden Kommunalwahlen 2026 und die Landtagswahl 2027 in Niedersachsen ist der Bedarf an politischer Bildung und dialogischer Bürgereinbindung besonders groß. Bibliotheken können hier als überparteiliche Treffpunkte dienen, an denen Bürger*innen unterschiedlicher Hintergründe miteinander ins Gespräch kommen und so sozialer Zusammenhalt, Teilhabe, Empathie und Verständnis gefördert werden.[3] Durch den Austausch persönlicher Geschichten und Perspektiven entsteht Verständnis für andere Lebensrealitäten, was wiederum die lokale Demokratie resilienter macht. Daher ist der dbv Landesverband Niedersachsen gemeinsam mit der Büchereizentrale und der lokalen BIB-Landesgruppe gerade dabei, mit dem Demokratiepartner ‚Mehr Demokratie‘ ein Förderprogramm (unterstützt von LPB Niedersachsen und dem Kultur- und Bildungsministerium) aufzusetzen; zudem wird sich der Verband mit dem Format auch auf der bibliocon in Bremen vorstellen:

Kaisen Saal (mit Streaming), Donnerstag, 26. Juni, 16:30 – 18:00
Sprechen und Zuhören – Das Dialogformat von mehr Demokratie e.V. erleben

„Sprechen und Zuhören“ ist ein dialogisches Beteiligungsformat, das von Mehr Demokratie e.V. entwickelt wurde, um den offenen Austausch und die dialogische Auseinandersetzung zu stärken. […] Ziele des Formats sind Förderung einer konstruktiven und respektvollen Dialogkultur, Schaffung von Räumen für Erfahrungs- und Perspektivenaustausch, Stärkung von Zuhörkompetenz und demokratischem Miteinander.

Inhalte während der Veranstaltung:
1. Vorstellung des Formats „Sprechen und Zuhören“ und Anteasern.
2. Austausch über Anwendungsmöglichkeiten in Bibliotheken
3. Diskussion über Chancen und Herausforderungen des Formats.
4. Impulse für die eigene Anwendung und Implementierung des Formats in Bibliotheken.

Die Veranstaltung wird durch den dbv Landesverband Niedersachsen angeboten und ermöglicht.)

 

Veranstaltung zum Kirchtag 2025