2. Sprachstandsfeststellung in der Kita

Hintergrundinformationen

Hintergrundinformationen zu den verschiedenen Arten von Erhebungs- verfahren zur Sprachstandsfeststellung

Unterschiedliche Arten von Erhebungsverfahren

Es steht ein großes Angebot an Verfahren zur Feststellung von Sprachständen in Kitas zur Verfügung. Kategorien, Leistungen und Aussagekraft der einzelnen Instrumente unterscheiden sich allerdings erheblich. Die nachfolgenden Ausführungen zeigen die wesentlichen Unterschiede der verschiedenen Kategorien von Instrumenten auf und arbeiten heraus, welche Art von Erhebungsverfahren für die sichere Identifizierung von Sprachförderbedarfen spätestens ein Jahr vor der Einschulung geeignet ist. Die Fachliteratur differenziert generell zwischen Tests und informellen Verfahren.

1. Tests

Tests sind solche Verfahren, die hohen wissenschaftlichen methodischen Ansprüchen genügen. Sie bestehen aus Aufgaben, die jeweils spezifische sprachliche Leistungen überprüfen. Diese Kategorie von Instrumenten ist ausnahmslos standardisiert, d.h. Tests sind nach einem festgelegten Schema durchzuführen sowie auszuwerten. Die Entwicklung eines Tests, der alle messtheoretischen Standards erfüllt, ist ein langjähriger kostenaufwendiger Konstruktionsprozess.

Zum Vergleich der Testergebnisse müssen Normen anhand einer repräsentativen Vergleichsgruppe vorhanden sein. Tests gehen immer von einer Normalverteilung der Kennwerte aus, d.h. viele Werte sortieren sich um den Mittelwert und werden zu den beiden Enden der Verteilung (Gaußsche Normalverteilung) immer weniger. Auch gilt es, das gesamte Leistungsspektrum von sehr gering bis überdurchschnittlich gut in einem Test abzubilden. Dies erklärt, warum in der Praxis einzelne Aufgaben als zu leicht oder zu schwer empfunden werden. Erst eine erfolgte Normierung ermöglicht es, die erbrachten Ergebnisse mit den Ergebnissen einer Bezugsgruppe zu vergleichen und zu bewerten. (vgl. List, 2010)

Testverfahren müssen die testtheoretischen Gütekriterien der Objektivität (Unabhängigkeit der Testergebnisse von der Person, die den Test durchführt), der Validität (Gültigkeit des Messinstrumentes) und der Reliabilität (Zuverlässigkeit der Messwerte) erfüllen. Angaben zur Normierung und Erfüllung der Gütekriterien finden sich in den Testmanuals. Fälschlicherweise wird der Begriff „Test“ im alltäglichen Sprachgebrauch auch für Verfahren genutzt, die den geforderten Gütekriterien nicht entsprechen.

Testverfahren eignen sich, einen spezifischen Förderbedarf sicher zu identifizieren und einen aktuellen Kompetenzstand zu erfassen. Voraussetzung für den Einsatz von Testverfahren ist jedoch eine gründliche Einarbeitung in die Durchführungs- und Auswertungsinstruktionen, damit die tatsächlichen Fähigkeiten im statistisch erfassten Vergleichsrahmen bestimmt werden können. Wird die Testdurchführung durch die Testleiterin oder den Testleiter verändert, so greifen die psychometrischen
Gütekriterien nicht mehr und das Ergebnis kann ein verzerrtes Bild zeigen.

Die meisten Testverfahren sind nur für einsprachig deutsch aufwachsende Kinder normiert worden. Die sprachlichen Leistungen mehrsprachig aufwachsender Kinder werden somit auf der Basis der Leistungen einsprachig aufwachsender Kinder beurteilt. Um den besonderen Erwerbsbedingungen mehrsprachig aufwachsender Kinder gerecht zu werden, sollten in der Normierung folglich auch die Faktoren berücksichtigt werden, die den kindlichen Zweitspracherwerb beeinflussen. Diese sind z.B. das Alter bei Erwerbsbeginn der deutschen Sprache und die Anzahl der Kontaktmonate mit der deutschen Sprache.
 

2. Screenings

Screenings sind i.d.R. ebenfalls standardisierte Verfahren, die auch den obigen testtheoretischen Gütekriterien genügen. Sie sind jedoch zeitökonomischer konstruiert und stellen somit „Kurztestverfahren“ dar. „Screenings definieren Leistungsgrenzen (Förderbedarf/kein Förderbedarf) durch die Angabe von Schwellenwerten. Unterschreitet ein Kind einen im Verfahren definierten Schwellenwert, wird es als Risikokind mit einer nicht altersgerechten Sprachentwicklung ausgewiesen. Screenings fokussieren in der Regel auf einzelne Sprachausschnitte, denen eine hohe Vorhersagekraft für Teilbereiche der weiteren Sprachaneignung zugesprochen wird (z.B. Überprüfung der phonologischen Bewusstheit als Indikator für den Schriftspracherwerb). Daher müssen Screenings prognostisch valide sein, d.h. die sprachliche Teilleistung, die mit dem Screening gemessen wird, muss eine Prognose über eine andere sprachliche Teilleistung, die sich im weiteren Verlauf der Sprachaneignung entfaltet, zulassen.“ (Lengyel 2012, S. 18)

Da Screenings jedoch nur Kinder mit einem Risiko „herausfiltern“, bedürfen diese Kinder immer einer weiteren sich anschließenden Sprachstandserhebung und/oder einer sich anschließenden Fördermaßnahme, die für den entsprechenden Prognosebereich entwickelt wurde. So wurde beispielsweise das Würzburger Trainingsprogramm ausschließlich für Kinder entwickelt, die mit dem Bielefelder Screening identifiziert wurden, später eine Lese-Rechtschreibschwäche zu entwickeln.

Nicht alle Verfahren, die sich Screening nennen, erfüllen jedoch die testtheoretischen Gütekriterien. So kommen auch informelle Screenings zum Einsatz, die weder normiert sind, noch Gütekriterien erfüllen. Auch zielen diese Verfahren häufig auf ein breiteres Spektrum an sprachlichen Leistungen ab und können keine gezielten Förderempfehlungen geben. (vgl. List 2010, S. 21)

3. Informelle Verfahren

„Diese Verfahren machen den Hauptanteil der Instrumente aus, die in der Praxis Anwendung finden. Informelle Verfahren sind solche, die wesentliche testkonstruktive Gütekriterien nicht aufweisen und daher keine statistisch gesicherten Normierungen vorlegen können… Denn informelle Verfahren spiegeln jene Plausibilitäten wider, die für die Konstrukteure maßgeblich waren, sie stehen also für deren Verständnis (und ihren Sachverstand), welche Sprachleistungen zu einem bestimmten Zeitpunkt der kindlichen Entwicklung verfügbar sein sollten.“ (List, 2010, S. 21) Zu dieser Kategorie gehören auch Beobachtungs- und Elternfragebögen

Beobachtungsverfahren

„Im Gegensatz zur Alltagsbeobachtung sind Beobachtungsverfahren zielgerichtet, geplant und kontrolliert durchzuführen und gewährleisten somit eine systematische Erfassung, Auswertung und Interpretation von Verhaltensausschnitten. Dies bedeutet, dass festgelegt sein muss, was beobachtet wird, wann und wo es beobachtet wird, wie lange es beobachtet wird, durch wen es beobachtet wird und wie die Beobachtungen dokumentiert werden.“ (Beck/von Dewitz/Titz, 2015)

Methodisch kontrollierte und an Kriterien orientierte Beobachtungen legen den Fokus auf verbale Äußerungen des Kindes im Alltagsgeschehen, in besonderen Handlungssituationen oder in initiierten Situationen. Das zu beobachtende sprachliche Verhalten wird anhand von Kategorien eingeordnet und anhand von Ratingskalen eingeschätzt, wie z.B.: nie, manchmal, häufig, immer.

Auf der Basis dieser Beurteilungen kann jedoch kein objektives Bild des Sprachstandes gezeichnet werden, da die Gefahr besteht, dass subjektive und selektive Wahrnehmungen in die Bewertung einfließen. Angeleitete Beobachtungen ermöglichen den pädagogischen Fachkräften, miteinander ins Gespräch zu kommen und ggf. eigene Einschätzungen zu reflektieren.

Beobachtungsverfahren erfüllen auch den Anspruch, die sprachliche Entwicklung eines Kindes kontinuierlich zu dokumentieren und sinnvollerweise mit der alltagsintegrierten Sprachbildung zu verknüpfen. Als valide Instrumente der Sprachstandsfeststellung sind sie jedoch nicht geeignet. (vgl. List 2010, S. 26)

So verstehen Ulich und Mayr (2003) ihre Beobachtungsinstrumente Seldak (2006) und Sismik (2003) auch ausdrücklich nicht als Sprachstandserhebungsverfahren für Förderentscheidungen, sondern als ein prozessbegleitendes Beobachtungsverfahren, das die „normale“ kindliche Sprachentwicklung begleitet.

Fazit

Die Wahl eines Verfahrens orientiert sich immer nach den angestrebten Zielen oder auch Zwecken der Sprachstandserhebung. Nicht alle zur Verfügung stehenden Verfahrenskategorien eignen sich somit für das Feststellen eines spezifischen Förderbedarfs, um darauf aufbauend eine systematische, individuelle, am Entwicklungsstand des Kindes orientierte Sprachförderplanung vorzunehmen. Dieses Ziel erfüllen in der Regel nur Testverfahren. Besonders geeignet sind darüber hinaus solche Tests, aus deren Ergebnissen sich spezifische Förderinhalte ableiten lassen. Informelle Beobachtungsverfahren bieten sich für das Ziel einer Verlaufsbeobachtung und Dokumentation der Sprachentwicklung im Rahmen der alltagsintegrierten Sprachbildung an. (List, 2010; Beck/von Dewitz/Titz, 2015)

Ein Instrument zur vorschulischen Sprachstandserhebung sollte die nachfolgenden Qualitätsanforderungen erfüllen:

  • Es identifiziert verlässlich Sprachförderbedarfe, indem es testtheoretische Qualitätsanforderungen erfüllt.
  • Es ermöglicht Anknüpfungspunkte für eine individuelle Förderung.
  • Es berücksichtigt einen sukzessiv mehrsprachigen Entwicklungshintergrund in seiner Bezugsnormorientierung (Beginn des Erwerbs der deutschen Sprache, Dauer des Kontakts mit der deutschen Sprache).
  • Es ist schon im früheren Kindergartenalter zur Abklärung unsicherer sprachlicher Entwicklungsverläufe anwendbar.
  • Es ergänzt idealerweise die kitaeigene Dokumentation.

Literatur

Beck, L. / von Dewitz, N. / Titz, Cora: Sprachliche Entwicklungsstände, Lernpotenziale und Lernfortschritte erkennen. Mercator Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache. 2015.

Kany, Werner / Schöler, Hermann: Fokus: Sprachdiagnostik. Leitfaden zur Sprachbestimmung im Kindergarten. 2. erweiterte Auflage. Berlin 2010.

Lengyel, Sprachstandsfeststellung bei mehrsprachigen Kindern im Elementarbereich. Eine Expertise der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WIFF). München 2012.

List, Gudula: Frühpädagogik als Sprachförderung. Qualitätsanforderungen für die Aus- und Weiterbildung der Fachkräfte. Expertise für das Projekt Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WIFF). München 2010.

Ruberg, T. / Rothweiler, M.: Spracherwerb und Sprachförderung in der Kita. Stuttgart 2012.

Weiterführende Literatur

Beck, Luna / von Dewitz, Nora / Titz, Cora: Sprachliche Entwicklungsstände, Lernpotenziale und Lernfortschritte erkennen. Mercator Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache. 2015.

Online: https://www.mercator-institut-sprachfoerderung.de/de/themenportal/thema/sprachliche-entwicklungsstaende-lernpotenziale-und-lernfortschritte-erkennen/ (Zugriff: 22.07.2019)

Kany, Werner / Schöler, Hermann: Fokus: Sprachdiagnostik. Leitfaden zur Sprachbestimmung im Kindergarten. 2. erweiterte Auflage. Berlin 2010.

Lengyel, Drorit (2012): Sprachstandsfeststellung bei mehrsprachigen Kindern im Elementarbereich. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte. WiFF Expertisen, Band 29. München 2012.

Lilian, Fried (2008): Sprachliche Entwicklungsstände, Lernpotentiale und Lernfortschritte erkennen. In: BiSS.Journal. Im Fokus.2. Ausgabe 2015.

List, Gudula: Frühpädagogik als Sprachförderung. Qualitätsanforderungen für die Aus- und Weiterbildung der Fachkräfte. Expertise für das Projekt Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WIFF). München 2010.

Niedersächsisches Kultusministerium

Ruberg, Tobias / Rothweiler, Monika: Spracherwerb und Sprachförderung in der Kita. Stuttgart 2012.

Schulz, Petra & Tracy, Rosemarie: Lise-DaZ Linguistische Sprachstandserhebung – Deutsch als Zweitsprache. Hogrefe Verlag Gmbh & Co.KG. Göttingen 2011.

Selle, Matthias: Kindertagesbetreuung in Niedersachsen. Gesetzessammlung und Praxiskommentar für Kindertageseinrichtungen, Kindertagespflege, Fachberatung und Verwaltung. Loseblattwerk mit Aktualisierungen 2018. Kapitel: Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder (KitaG) mit Kommentierung.