Wie wir gut hören

Mit Hertz und Verstand

Prof. Thomas Lenarz von der MHH erklärt, wie das Ohr arbeitet.

Prof. Prof. h.c. Dr. med. Thomas Lenarz

Mein Lieblingsklang…

… kein Klang, sondern die Stille. Etwas, das heute ganz selten geworden ist: gehörte Stille. Man hört sie beispielsweise in der Wüste, wenn kein Wind weht. Und manchmal in Kathedralen. Meist ist die Stille nicht mehr gefragt. Manche Menschen haben sogar Angst vor ihr. Stille zwingt uns, uns zu konzentrieren, sie wirft uns auf uns selbst zurück. Sie schärft die Sinne." Prof. Prof. h.c. Dr. med. Thomas Lenarz

Irgendwann im Verlauf des Gesprächs steht der Professor auf und tritt ans Bücherregal hinter seinem Schreibtisch. Er nimmt einen blauen Band heraus, schlägt ihn auf und zeigt anhand einer Grafik des Ohrs, was er gerade erklärt hat – wo genau nämlich die Hörschnecke im Innenohr sitzt, die den Schall in Nervenimpulse umsetzt. Als er das Buch am Ende wieder wegstellt, erhaschen die Besucher einen Blick auf den Umschlag. Als Autor wird da ein gewisser Lenarz aufgeführt.

So ist das, wenn man eine Kapazität wie Thomas Lenarz ist. Dann ist man nicht bloß Doktor und Professor und Pionier der Ohrenheilkunde. Dann zieht man auch mal eben ein Lehrbuch aus dem Regal, das den eigenen Namen trägt.
"Das Ohr ist das Mikrofon des Körpers", sagt Thomas Lenarz, Direktor der HNO-Klinik und des Deutschen Hörzentrums der Medizinischen Hochschule Hannover, als das Buch noch auf dem Tisch liegt. "Es transportiert die Schallwellen von außen zu den Haarzellen im Innenohr, wo sie in Signale umgesetzt werden, mit denen das Gehirn was anfangen kann." Der Arzt zieht einen Kugelschreiber aus seiner Kittelbrusttasche und deutet auf die Cochlea, die Hörschnecke innerhalb der Ohr-Grafik. "Das ist der wesentliche Bereich. Alles andere ist nur Verstärker und Unterstützung."

Übersetzer: Ohne die Hörschnecke im Innenohr könnte Schall nicht in Nervenimpulse umgesetzt werden – eine sprachliche Verständigung wäre nur schwer möglich.

Was wir außen am Körper tragen und schon als Ohr bezeichnen, ist also lediglich der Anfang von allem. Thomas Lenarz nennt diesen Teil "Empfangstrichter". Er leitet Töne und Geräusche nach innen und ist optimiert für die Frequenzen, auf denen der Sprachtransport stattfindet. Der Schall landet dann beim Mittelohr. Dazu gehören das Trommelfell und die drei Gehörknöchelchen namens Hammer, Amboss und Steigbügel (die so heißen, weil sie genauso aussehen). Sie alle dienen zum Transport und zur Verstärkung des Schalls. Im Innenohr befindet sich dann neben dem Gleichgewichtsorgan die Hörschnecke, die Cochlea. Sie ist mit Lymphflüssigkeit gefüllt. "Schall breitet sich durch Wasser gut aus", sagt HNO-Professor Lenarz, "und als die Lebewesen im Verlauf der Evolution an Land gestiegen sind, musste man die Sinneszellen, die den Schall lesen sollen, eben in Wasser einpacken."

Hohe Töne werden dabei im unteren Bereich der Hörschnecke konzentriert, tiefe im oberen Sektor. Durch das Zusammenspiel von natrium- und kaliumhaltigen Flüssigkeiten und den Haarzellen im Innenohr entstehen elektrische Impulse aus dem aufgefangenen Schall, die wiederum die Nervenfasern anregen, die ins Gehirn führen – und dort wird dann alles vom Verstand interpretiert und einsortiert. Am Ende dieses langen Weges wissen wir, was unser Gegenüber gerade gesagt hat.

Thomas Lenarz beispielsweise hat gerade gesagt, dass das menschliche Ohr so feinfühlig ist, dass es Töne auseinanderhalten kann, die bloß drei Hertz auseinanderliegen. Und dann sagt er, dass den Haarzellen im Innenohr mit zunehmendem Alter dasselbe passiert, was vielen Männern mit zunehmendem Alter widerfährt: Sie bekommen eine Glatze. Dann braucht man ein Hörgerät.
Das, erläutert der Professor noch, könne man durch sorgsamen Umgang mit dem Gehör zwar nicht immer verhindern. Aber hinauszögern. Und damit stellt er das blaue Buch wieder ins Regal.

Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde
und Deutsches HörZentrum der
Medizinischen Hochschule Hannover
Carl-Neuberg-Straße 1
30625 Hannover
Mitarbeiterzahl: 200
www.mhh-hno.de