Ein Forschungsteam der Medizinischen Hochschule findet zwei vielversprechende AAV-Kapsid-Varianten für die Gentherapie in der Leber, bei der intakte Gene als „Medikament“ direkt in die Zelle transportiert werden.
Es gibt zahlreiche schwere, kaum behandelbare monogenetische Erkrankungen, die von einem Defekt in einem einzelnen Gen hervorgerufen werden – auch in der Leber. Dazu gehören etwa die Blutgerinnungsstörungen Hämophilie A oder B oder die Stoffwechselerkrankung Phenylketonurie. Hier könnten Gentherapien helfen, bei denen intakte Gene als „Medikament“ direkt in die Zelle transportiert werden. In Europa sind einige Gentherapien bereits zugelassen – etwa bei der spinalen Muskelatrophie (SMA), einer angeborenen neuromuskulären Erkrankung mit schwerer Muskelschwäche und Muskelschwund. Um die therapeutischen Gene ans Ziel zu bringen, werden sogenannte virale Vektoren als Gentaxis genutzt. Zu den bekanntesten Vertretern zählen Adeno-assoziierte Viren (AAV). Ein Forschungsteam der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) um Professorin Dr. Hildegard Büning, AAV-Expertin und stellvertretende Leiterin des Instituts für Experimentelle Hämatologie, haben zwei neue AAV-Varianten entwickelt, die wirksamer sind und daher zur gezielten Behandlung von Lebererkrankungen in Frage kommen. Die Ergebnisse sind jetzt in der Fachzeitschrift Hepatology veröffentlicht worden.
Nicht alle Gentaxis erreichen ihr Ziel
AAV-Vektoren leiten sich zwar von Viren ab, dienen bei der Gentherapie aber ausschließlich als Transportmittel. Mit der Virushülle, dem sogenannten Kapsid, docken die AAV-Vektoren an die Körperzelle an und schleusen ihre genetische Fracht in das Zellinnere. Dort wird sie abgelesen und gemäß ihrem Bauplan in das entsprechende Protein umgesetzt. Nicht alle Gentaxis erreichen jedoch ihr Ziel. Mitunter laden sie ihre Fracht an falscher Stelle ab, weil sie neben dem gewünschten Zielorgan auch andere Gewebe ansteuern. Zudem können sie vom Immunsystem als fremd erkannt und durch neutralisierende AAV-Antikörper abgefangen und zerstört werden. „In unserer Arbeit haben wir nach AAV-Varianten gesucht, die zum einen zielgenau die Leber ansteuern und sich nicht in andere Gewebe verirren und die zum anderen den neutralisierenden Antikörpern entkommen“, sagt Dr. Nadja Meumann, Erstautorin der Studie. Dafür hat die Wissenschaftlerin in einer sogenannten Kapsid-Varianten-Bibliothek unter mehr als einer Million AAV-Varianten nach geeigneten Kandidaten mit Kapsid-Strukturen gesucht, die sowohl in Maus-Leberzellen als auch in menschlichen Leberzellen funktionieren. „Diese artenübergreifende Anwendungsmöglichkeit ist sehr wichtig für die Entwicklung neuer Therapiestrategien, weil dadurch die erforderlichen präklinischen Versuche im Mausmodell und deren Übertragung in die späteren klinischen Studien am Menschen möglich sind“, erklärt die Molekularbiotechnologin.
AAV-Vektor-Varianten in Mäusen schon gegen Blutgerinnungsstörung erfolgreich
Geeignete AAV-Varianten hat Dr. Meumann dann im Mausmodell „trainiert“. „AAV als Viren werden in der Natur normalerweise über die Atemwege aufgenommen und müssen sozusagen umlernen, wenn sie über eine Injektion in die Blutbahn gelangen und von dort aus gezielt die Leber ins Visier nehmen sollen“, erklärt Professorin Büning. „Gerichtete Evolution“ nennen Biologen diesen Weg, mit geschicktem Auswahlverfahren schneller an gewünschte Eigenschaften zu kommen. Zwei AAV-Varianten namens MLIV.K und MLIV.A haben das Rennen gemacht. Sie finden die Leberzellen schnell und sicher und sorgen in den Zellen dafür, dass der Bauplan für das therapeutische Gen auch tatsächlich umgesetzt wird. „Mit diesen Varianten konnten wir bereits erfolgreich Mäuse therapieren, die an Hämophilie B litten“, sagt die Molekularbiologin. Per intravenöser Injektion konnten MLIV.K und MLIV.A über die Blutbahn gezielt die Leberzellen ansteuern und dort den Bauplan für den fehlenden Gerinnungsfaktor abliefern. Ein weiterer Vorteil der beiden Vektor-Varianten: Sie erledigen ihre Arbeit offenbar nicht nur zuverlässig, sondern außerdem sehr effizient. „Das bedeutet, wir benötigen generell eine geringere Dosis, um einen Behandlungserfolg zu erzielen“, betont Professorin Büning. Und das senkt die Kosten pro Behandlungseinheit deutlich – ein wichtiger Pluspunkt, denn Gentherapie ist eine momentan noch sehr teure Therapieform.
Weitere Studien notwendig
Bis zu einer möglichen klinischen Anwendung müssen Wirksamkeit und Verträglichkeit noch in weiteren Studien im Großtiermodell und später auch in klinischen Studien am Menschen bestätigt werden. Mehr als 400 monogenetische Erkrankungen sind für die Leber bekannt. Auf die Gentaxis MLIV.K und MLIV.A könnten in Zukunft also noch viele Transportaufträge warten.
Videos
Medizinische Hochschule auf wissen.hannover.de
Videos der Medizinische Hochschule Hannover auf der Mediathek der Initiative Wissenschaft Hannover.