Rückblick

„Nach dem Hochwasser ist vor dem Hochwasser“

Beim Hochwasser im Winter 2023/24 haben die Schutzmaßnahmen der Stadt Hannover weitgehend gegriffen. Für die Stadt ist es auch ein Gradmesser, um sich für höhere Pegelstände eines Jahrhunderthochwassers vorzubereiten. Darum ging es in einer Rundfahrt durch das Hochwassergebiet, während der Pegel weiter abebbt.

 

Am Hochwasserschutzsystem an der Wasserkunst: Oberbürgermeister Belit Onay, Fachbereichsleiter Direktor der Feuerwehr Hannover Christoph Bahlmann, Feuerwehrdezernent Dr. Axel von der Ohe.

Winterhochwasser 2023/24 in Hannover

Big Bags und Sandsäcke kommen als mobiler Hochwasserschutz zum Einsatz.

  • 20. Dezember: Meldestufe 1 ist erreicht. Der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) markiert damit den bordvollen Abfluss von Wasser und stellenweise beginnende Ausuferungen.
  • 21. Dezember: Meldestufe 3 ist erreicht. Dem NLWKN zufolge sind damit größere Flächen überschwemmt, möglicherweise auch einzelne Grundstücke, Straßen und Keller.
  • 22. Dezember: Der Fachbereich Umwelt- und Stadtgrün sperrt die Fuß- und Radwege im Überschwemmungsgebiet von Leine und Ihme.
  • 23. Dezember: Mit dem weiter ansteigenden Pegelstand der Leine oberhalb der Meldestufe 3 ruft die Stadtentwässerung Hannover das Gremium Hochwasser zusammen. Mit dabei: Feuerwehr Hannover und die städtischen Fachbereiche Tiefbau und Umwelt und Stadtgrün.
  • 24. Dezember: Der Fachbereich Tiefbau schließt das Deichtor Düsternstraße und bringt die ersten Elemente am Deichschart im Kneippweg ein. Mitarbeiter*innen kontrollieren die Deichanlagen mehrfach am Tag. Ebenso unternimmt die Feuerwehr Hannover regelmäßige Kontrollfahrten im Stadtgebiet.
  • 26. Dezember: Mit dem Pegelstand von 5,70 Meter löst der Führungsstab der Feuerwehr Hannover planmäßig das Gremium Hochwasser ab und koordiniert den Hochwasserschutz im Stadtgebiet. Zweimal täglich berät sich der Stab unter der Leitung des Feuerwehrdezernenten Dr. Axel von der Ohe mit der Stadtentwässerung und den Fachbereichen Tiefbau sowie Umwelt und Stadtgrün zum Hochwasserschutz.
  • 27. Dezember: Die Feuerwehr baut 143 Tonnen des mobilen Hochwasserschutzsystems Aquariwa im Franz-Mock-Weg auf.
  • 28. Dezember: An der Wasserkunst baut die Feuerwehr 45 Tonnen des mobilen Hochwasserschutzes Aquariwa auf.
  • 31. Dezember: Der Leinepegel fällt unter 5,70 Meter mit weiter abfallendem Trend. Die Lage entspannt sich langsam.
  • 8. Januar: Der Leinepegel fällt unter 5,40 Meter. Der Führungsstab der Feuerwehr ruft die letzte interdisziplinäre Lagebesprechung ein.

Feuerwehrdezernent Dr. Axel von der Ohe, Andrea Holthaus-Voßgröne vom Tiefbauamt und Oberbürgermeister Belit Onay bei einem Presse-Termin am Deichschart im Kneippweg.

Der Schutz gegen das Hochwasser im Winter 2023/24 hat gehalten. „Wir konnten die Situation in Hannover relativ gut im Griff behalten“, fasst Oberbürgermeister Belit Onay zusammen. Während die Pegel an Leine und Ihme wieder sanken, bereiste er einzelne Gebiete mit Feuerwehrdezernent Dr. Axel von der Ohe und Vertreter*innen von Feuerwehr, Stadtentwässerung Hannover und Fachbereichen der Stadt. Beide erklärten: Es gibt noch viel Handlungsbedarf, um sich auf eine Hochwasserlage mit höheren Pegelständen vorzubereiten. Ihr Dank galt den vielen haupt- und ehrenamtlichen Helfer*innen, die die Stadt vor dem Hochwasser gesichert haben.

Leinepegel von 5,81 Meter erreicht

Der Leinepegel hielt sich ab 26. Dezember 2023 mehrere Tage über 5,70 Meter, in der Spitze lag er bei 5,81 Meter. Statistisch kommt das innerhalb von zehn Jahren einmal vor. Anfang Januar entspannte sich die Lage deutlich, damit ging es in die Nachsorge und Analyse. Für den Fachbereichsleiter Direktor der Feuerwehr Hannover, Christoph Bahlmann, ist bereits klar: „Nach diesem Ereignis müssen wir unseren Hochwasserplan neu anpassen“. Das Hochwasser 2023/24 habe gezeigt, geht der Pegel in Richtung 6 Meter, müssen die baulichen Maßnahmen ergänzt und mit mobilen Systemen gesichert und kontrolliert werden. Als Jahrhunderthochwasser gilt ein Stand von 6,44 Meter, der war 1946 erreicht.

Feuerwehr sichert mit mobilem Schutz

Mobiler Hochwasserschutz an der Wasserkunst mit dem System Aquariwa.

„Unsere Schutzsysteme müssen noch robuster gemacht werden“, sagt auch von der Ohe. Die Feuerwehr mit ihren haupt- und ehrenamtlichen Einsatzkräften haben mehr als 25.000 Sandsäcke und fast 60 Big Bags befüllt. Einige davon sicherten beispielsweise Unterführungen am Westschnellweg. Zudem baute die Feuerwehr 250 Meter in zwei mobilen Aquariwa-Systemen im Franz-Mock-Weg und an der Wasserkunst auf. Beides musste mit Bauzäunen gesichert werden, Passanten hatten die Folien betreten.

Die Feuerwehr Hannover prüfte mehrfach bei Kontrollfahrten am Tag bis zu 44  Punkte im Stadtgebiet. Sie sprach immer wieder Warnungen vor dem Hochwasser aus und musste dennoch Rettungseinsätze in Überflutungsgebieten leisten.

Stadtentwässerung: voller Grundwasserspeicher

Wie die Feuerwehr hatte auch Dr. Hans-Otto Weusthoff, stellvertretender Betriebsleiter der Stadtentwässerung Hannover, während des Hochwassers die Pegel und Prognosen im Blick. Er hielt zudem den direkten Kontakt zum Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN). Gemäß Hochwasserplan kontrolliert die Stadtentwässerung während eines solchen Ereignisses insgesamt 60 Betriebspunkte in der Stadt. Gleich zu Beginn schloss das Team beispielsweise die Absperrschieber im Kanalnetz, um den Rückfluss des Wassers ins Stadtgebiet zu verhindern.

Die Kläranlage in Herrenhausen war zu keinem Zeitpunkt gefährdet, so Weusthoff. Neu sei die Situation mit einem zeitgleich komplett gefüllten Grundwasserspeicher in Hannover. „Wir hatten nicht nur ein Hochwasser, das vom Wasserstand her statistisch nur alle zehn Jahre vorkommt, wir hatten auch sehr hohe Grundwasserstände“, so Weusthoff. Die seien herausfordernd, wie sich beispielsweise im Bereich der Steintormasch zeigte. Anders als Vorhersagen für die Wasserstände am Leinepegel, können Grundwasserstandvorhersagen für das Stadtgebiet in so einer Situation jedoch nicht angeboten werden. Das hohe Grundwasser hatte etwa auch am Schützenplatz, in der Calenberger Neustadt und im Bereich der Steintormasch die Feuerwehr mit mobilen Schutzsystemen auf den Plan gerufen.

Wasser vor Deichschart und Tor

Der Leinepegel stieg am 27. Dezember 2023 in der Spitze bis auf 5,81 Meter, hier zu sehen am Deichschart Kneippweg.

Während Ricklingen früher stark von Hochwassern betroffen war, zeigte sich dort gut, wie Maßnahmen wirken. Am Deichschart im Kneippweg hat der Fachbereich Tiefbau am 24. Dezember Hochwasserschutzelemente eingebracht und ein Stück weiter das Deichtor in der Düsternstraße geschlossen. Einen Tag später stand das Wasser am Tor. Weiter südlich befinden sich noch die Deichscharte am Papelhof und an der Bauernwiese sowie eine mobile Hochwasserschutzwand am Edelhof. Sie sind Teil einer Deichverlängerung der Jahre 2014 bis 2018. „2006 hatte der Rat der Stadt diesen Hochwasserschutz ermöglicht“, berichtet Andrea Holthaus-Voßgröne vom Fachbereich Tiefbau. Die Wallanlage ist ein Kilometer lang und hat sich nach dem Hochwasser 2017 ein zweites Mal bewährt.

Platz für 55.000 Kubikmeter Wasser an der Glocksee

Die Benno-Ohesorg-Brücke (links) war für den Hochwasserschutz verlängert worden.

Für den baulichen Hochwasserschutz habe die Stadt rund 30 Millionen Euro investiert, erzählt Andrea Holthaus-Voßgröne. Neben der Deichverlängerung gehören dazu auch die umgestalteten Bereiche zwischen Legionsbrücke und der Leinertbrücke an der Spinnereistraße mit der Verlängerung der Benno-Ohnesorg-Brücke, um einen Rückstau nach Ricklingen zu vermeiden. Im Uferbereich an der Glocksee gegenüber dem Ihmezentrum war durch Abgrabungen Platz für Hochwasser geschaffen worden. „In dem terrassenförmig angelegten Gebiet können sich circa 55.000 Kubikmeter Wasser breitmachen“, schildert Holthaus-Voßgröne. Für ein Hochwasser der Qualität, wie es statistisch alle 100 Jahr auftritt, könnten in den zum Teil eingebauten Mauern noch mobile Elemente ergänzt werden.

Exzellentes Teamplay

Dr. Axel von der Ohe berichtete aus der Zeit von einem „exzellenten Teamplay“ von Feuerwehr, Stadtentwässerung und den Fachbereichen. „Alle haben Hand in Hand gearbeitet.“ Als mittelfristige Perspektive gebe es aber Bedarf. „Nach dem Hochwasser ist vor dem Hochwasser“, sagt auch Weusthoff, es werde interdisziplinär sowohl an einem Erfahrungsbericht für dieses Ereignis als auch an einem Hochwasserschutzkonzept gearbeitet, das die vom NLWKN neu ermittelten Überschwemmungsgebietslinien für das Szenario eines Jahrhunderthochwassers einbezieht. „Dabei müssen wir allerdings mit einem langen Vorlauf rechnen, wenn wir die Förderanträge stellen“, sagt er und geht nach derzeitigem Zeitplan von einem Beginn für die erforderlichen Baumaßnahmen im Jahr 2027 aus.