Vergaberecht

Stadtbibliothek Hannover muss laut Gutachten ihre Medienbeschaffung europaweit ausschreiben

Hannover setzt sich für Modifizierung des EU-Vergaberechts ein. Das Vergaberecht soll sicherstellen, dass die öffentliche Hand wirtschaftlich beschafft und Steuergelder sparsam und sachgerecht verwendet. Es soll den fairen Wettbewerb der Anbietenden fördern und für alle Bewerbenden ein transparentes und nichtdiskriminierendes Verfahren sicherstellen. Lokale Anbietende dürfen weder bevorzugt noch benachteiligt werden.

Kulturdezernentin Konstanze Beckedorf und Prof. Dr. Tom Becker, Direktor Stadtbibliothek Hannover beim Pressetermin am 15. Januar in der Stadtbibliothek Hannover.

Medienbeschaffung der Stadtbibliothek Hannover ist nicht EU-vergaberechtskonform

Die bisherige Praxis der Medienbeschaffung der Stadtbibliothek Hannover ist nicht EU-vergaberechtskonform. Zu diesem Ergebnis kommt ein von der Landeshauptstadt Hannover bei einer auf Vergaberecht spezialisierten Kanzlei in Auftrag gegebenes Gutachten. Es bestätigt damit die Einschätzungen von Rechnungsprüfungsamt und städtischer Rechtsabteilung. Zugleich zeigt das Gutachten auch auf, dass Chancen bestehen, mittelfristig über eine Modifizierung des EU-Vergaberechts (Ausnahmetatbestände im Vergaberecht) neue Wege gehen zu können.

In dem Gutachten heißt es dazu:

„§§ 107 und 116 GWB ordnen jeweils für bestimmte Auftragsgegenstände an, dass diese nicht in den Anwendungsbereich des GWB-Vergaberechts fallen. Die vorstehend begutachtete Beschaffung von Medien lässt sich dort jedoch nicht einordnen. Eine Erweiterung dieses Katalogs an Ausnahmetatbeständen kann nur durch die EU-Institutionen erfolgen, weil es sich bei den genannten Vorschriften um eine Umsetzung der o.g. Richtlinie 2014/24/EU handelt.“

Entsprechende Gespräche mit den für Hannover zuständigen Europaabgeordneten werden zurzeit durch Oberbürgermeister Belit Onay forciert.

Da Medienbeschaffungen der Landeshauptstadt Hannover auch unterhalb der EU-Schwellenwerte in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fallen, müssten analoge Anpassungen auch im Niedersächsischen Tariftreue- und Vergabegesetz vorgenommen werden. Hier heißt es im Gutachten:

„Unterhalb der EU-Schwellenwerte regelt nicht der Bund das vergaberechtliche Rechtsregime, sondern die Länder in eigener Verantwortung. Eine sachliche Ausnahmevorschrift, welche die Beschaffung von (preisgebundenen) Medien von der Geltung vergaberechtlicher Vorschriften freistellen würde, existiert hier ebenfalls nicht. Für die Schaffung eines eventuellen Ausnahmetatbestands für den hier betroffenen Warensektor wäre der niedersächsische Landesgesetzgeber zuständig.“

Vor diesem Zusammenhang wird sich die Landeshauptstadt Hannover für eine Modifizierung des Vergaberechts auch auf Landesebene einsetzen.

Vergabeverfahren soll EU-rechtskonform & partnerschaftlich gestaltet werden

Parallel dazu werden die Gespräche von Stadtbibliothek und niedersächsischem Börsenverein des deutschen Buchhandels erneut aufgenommen. Ziel ist es, gemeinsam das Vergabeverfahren EU-rechtskonform und partnerschaftlich aufzustellen und die Vergabe so zu gestalten, dass der örtliche Buchhandel ebenfalls eine Chance hat, berücksichtigt zu werden.

„Die enge und vertrauensvolle Partnerschaft zum örtlichen Buchhandel, der für uns auch mehr ist als eine Einkaufsstation, liegt der Landeshauptstadt Hannover auch zukünftig sehr am Herzen. Wir werden alles daransetzen, dass entsprechende Initiativen auf EU-Ebene ergriffen werden. Dies ist umso wichtiger, als bundesweit viele Kommunen nach Hannover schauen, weil sie vor derselben Herausforderung einer Ausschreibung stehen,“ so Kulturdezernentin Konstanze Beckedorf.

„Die konstruktiven und vertrauensvollen Gespräche mit dem norddeutschen Börsenverein werden fortgesetzt. Die gemeinsame Suche nach einem ‚hannöverschen Weg‘ zum Umgang mit den nun gesichert vorliegenden Rahmenbedingungen bleibt das Ziel der Stadtbibliothek. Die Buchhandlungen sind für uns schon immer mehr als nur wirtschaftliche Partner*innen gewesen, und dies soll auch so bleiben,“ ergänzt Prof. Dr. Tom Becker, Direktor der Stadtbibliothek Hannover.

Die nächsten Schritte

Die Stadtbibliothek wird nun aufgrund des Auftragswertes ihre Medienbeschaffung des deutschsprachigen Buchbestands europaweit ausschreiben. Ein erster Entwurf des neuen Verfahrens soll in Absprache mit der Ratspolitik erarbeitet und zur Entscheidung vorgelegt werden.

Die bisherige Praxis der Medienbestellungen

Die Stadtbibliothek Hannover ist eine Organisationseinheit der Kommunalverwaltung der Landeshauptstadt Hannover. Jährlich steht ein Etat von ca. 1,3 Millionen Euro zur Verfügung, um ein aktuelles und passgenaues Medienangebot für die Kund*innen zu beschaffen. Die Beschaffung der deutschsprachigen Bücher in einem (stark schwankenden) Umfang von bis zu 615.000 Euro erfolgt aktuell überwiegend im lokalen Buchhandel, ohne dass ein Vergabeverfahren durchgeführt wurde. In der Vergangenheit war mit Blick auf das Buchpreisbindungsgesetz (BuchPrG) davon ausgegangen worden, dass ein Vergabeverfahren nicht erforderlich sei, da ein wirtschaftlicher Vorteil nicht erzielt werden würde.

Das Vergaberecht soll sicherstellen, dass die öffentliche Hand wirtschaftlich beschafft und Steuergelder sparsam und sachgerecht verwendet. Es soll den fairen Wettbewerb der Anbietenden fördern und für alle Bewerbenden ein transparentes und nichtdiskriminierendes Verfahren sicherstellen.

Die jüngere Rechtsprechung des EU-Vergaberechts

In den vergangenen Jahren hat sich die Auslegung der Gesetzgebung geändert. Nach jüngerer Rechtsprechung werden in das Wirtschaftlichkeitsgebot neben dem Preis auch weitere Aspekte einbezogen. Der Wunsch nach mehr Transparenz der Vergabe ist ein Gebot, das somit nun auch auf die Vergabe der Medien anzuwenden ist.

In §97 Abs. 1 GWB heißt es:

„Die Vergabe sorgt bei allen Beteiligten für Transparenz und Planbarkeit.“

Die Konsequenz: Das bisherige Ziel der regionalen Wirtschaftsförderung (Bevorzugung lokaler Buchhandlungen) stellt bei der Vergabe nunmehr kein Kriterium dar, es besteht im Gegenteil ein Diskriminierungsverbot, d.h. lokale Anbietende dürfen weder bevorzugt noch benachteiligt werden. Diese Konsequenz trifft nicht nur Hannover.