Medizinische Hochschule

Europa-Rekord: Kunstherz seit zehn Jahren

Die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) versorgt jährlich rund 100 Patienten mit einem Herzunterstützungssystem. Uwe S. lebt bereits seit zehn Jahren mit einem Kunstherz.

V.l.n.r.: Dr. Jan Schmitto, Patient Uwe S., Professor Dr. Axel Haverich und Professor Dr. Martin Strüber mit unterschiedlichen Modellen des Heartmate

Mit jedem Schlag pumpt ein gesundes Herz etwa 70 Prozent seiner Füllung in den Körperkreislauf. Ist das Herz stark geschwächt, kann es häufig nur noch 20 Prozent auswerfen. "Dadurch wird das Herz überlastet und der Körper nicht mit genügend Sauerstoff versorgt. Die Betroffenen leiden dadurch beispielsweise unter Leistungsschwäche, Kurzatmigkeit, Schwindel und Wassereinlagerungen in den Beinen und der Lunge", erklärt Privatdozent Dr. Jan Schmitto, Bereichsleiter Herzunterstützungssysteme und Herztransplantation der Klinik.

Kunstherz seit zehn Jahren

In so einem Fall kann ein Kunstherz helfen. Es wird in die linke Herzkammer des Patienten eingesetzt und pumpt von dort aus das sauerstoffreiche Blut aus der Lunge in den Körper. Betrieben wird das Gerät mittels Strom. Ein Kabel verbindet das Kunstherz mit der Steuerelektronik und den Batterien, die der Patient außerhalb des Körpers in einer Tasche trägt. Die Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie der MHH implantiert jährlich rund 100 Patienten ein Kunstherz. Uwe S. aus Sachsen-Anhalt lebt bereits seit zehn Jahren damit und gilt als Europa-Rekordhalter. Ihm implantierten die MHH-Herzchirurgen 2005 eines der ersten Kunstherzen des Typs "Heartmate II".

Pilotstudie: "Pulslose" Blutpumpe

Uwe S. hatte in einer stressigen Lebensphase zwei Herzinfarkte innerhalb einer Woche erlitten. "Meine Herzleistung war nur noch sehr schwach. Als die Ärzte mir anboten, ein Kunstherz zu implantieren, gab es für mich eigentlich gar keine Alternative", erinnert er sich. Die Klinik nahm damals an einer Pilotstudie teil. In der Untersuchung sollte das Heartmate II – neu an dem Modell war das Konzept der "pulslosen" Blutpumpe – als Überbrückung bis zu einer Herztransplantation getestet werden. Die Überbrückungszeit war auf 180 Tage ausgelegt. "Damals haben nur kühne Optimisten daran geglaubt, dass man zehn Jahre lang mit einer pulslosen Blutpumpe leben kann", erklärt Professor Dr. Martin Strüber von der MHH.

Lebensrettender Begleiter

Schon kurze Zeit nach der Operation ging es Uwe S. deutlich besser. "Ich konnte vorher nur noch liegen. Plötzlich war es wieder möglich, zu gehen und körperlich aktiv zu sein. Das war toll." Trotzdem hat er einige Zeit gebraucht, die neue Situation zu akzeptieren. Denn eine gewisse Lebensumstellung erfordert ein Kunstherz schon: Die Patienten müssen Medikamente einnehmen, besondere Hygieneregeln beachten und sich an den Umgang mit den Batterien gewöhnen. Heute sieht Uwe S. das Kunstherz als seinen lebensrettenden Begleiter. "Das Gerät ist mein zweites Herz, und es gehört zu mir", sagt er.

Kunstherz als Überlebenschance

In den vergangenen zehn Jahren entwickelten sich die Herzunterstützungssysteme ständig weiter. Gleichzeitig erfanden die Herzchirurgen in Hannover Operationsmethoden, die es erlauben, Kunstherzen minimalinvasiv einzusetzen. Sogar US-amerikanische Herzchirurgen kommen immer öfter in die Landeshauptstadt, um diese minimalinvasive "Hannover"-OP-Technik zu erlernen und von den Erfahrungen der MHH-Herzchirurgen zu profitieren. Angesichts fehlender Spenderorgane gewinnen die Unterstützungssysteme immer mehr an Bedeutung. Denn der tatsächliche Bedarf an Spenderherzen kann bei weitem nicht gedeckt werden. So standen 2014 in der MHH mehr als 50 Patienten auf der Warteliste. Es konnten aber nur etwa 25 Herz- und Herz-Lungen-Transplantationen vorgenommen werden. Im Gegensatz dazu setzten die MHH-Chirurgen mehr als 100 Kunstherzsysteme ein. In vielen Fällen ist das Kunstherz also die einzige Überlebenschance.

(Veröffentlicht: 18. November 2015)